31 - Und Friede auf Erden
von Ihnen erwähnten Geister und Seelen zu ihr gehören. Wenn Ihr Glaube diese Seelen in die Ewigkeit versetzt, in welcher Sie sich doch in Wirklichkeit schon selbst auch befinden, so sagt er doch weiter nichts, als daß sie hier bei Ihnen geblieben sind. Und ist dies der Fall, so ist es doch ganz selbstverständlich, daß diese Geister nicht nur auf uns wirken können, sondern sogar auf uns wirken müssen, besonders da es für sie keine körperlichen und räumlichen Verhältnisse gibt, durch welche sie daran gehindert werden. Für uns Chinesen ist das etwas so unendlich Selbstverständliches, daß wir mit unsern nur scheinbar Abgeschiedenen in der lieben, dankbaren Weise verkehren, welcher Sie so unberechtigterweise die Bezeichnung Ahnenkults gegeben haben. Ich sage Ihnen, daß es für andere von unermeßlichem Vorteil sein würde, wenn auch ihnen endlich die Erkenntnis käme, daß sie durch ihren Unglauben in dieser Beziehung zu einer lieblosen Entfremdung mit denen geführt werden, welche sich in diesem Leben für uns opferten und sich auch in jenem weiter für uns opfern, ohne daß wir es ihnen hier danken konnten, es ihnen also nun dort danken sollen! Sie sind da; sie sind hier bei uns; ich schwöre es Ihnen zu! Nun denken Sie sich ihr Herzeleid, ihre Trauer darüber, daß Sie sie von sich verstoßen und nichts von ihnen wissen wollen, und zwar nur aus dem ganz unzureichenden Grund, daß Ihre materiellen Sinne nicht fein genug sind, das Geistige zu schauen, zu empfinden! Es sind bittere Schmerzen, welche Sie dadurch den teuren Wesen bereiten, welche Ihnen hier in der Zeit nahegestanden haben und auch hier in der Ewigkeit nahe bleiben sollen. Gibt es denn für Euch doch sonst so kluge Menschen kein Mittel, Euch von dieser geistigen Kurzsichtigkeit zu befreien und den zur Seligkeit Bestimmten diese Seligkeit nicht länger zu vergällen?“
Der sonst so ruhige, junge Gelehrte war erregt geworden; er stand auf und entfernte sich. Darum verabschiedete auch ich mich bald von Mary, um schlafen zu gehen, war aber überzeugt, daß der zur Ruhe gehörige, innere Augenschluß sich heut verzögern werde. Da kam Raffley die zur Kommandobrücke führenden Stufen herunter und auf mich zu.
„Bitte, mir zwei Worte zu erlauben, lieber Charley“, sagte er. Indem er meinen Arm in den seinen zog, um mit mir hin und her zu gehen, fuhr er fort: „Ki-tsching liegt nämlich nur noch diese Nacht und einige Stunden von uns entfernt, und – – –“
„Ki-tsching?“ unterbrach ich ihn. „Wie Sie diese Worte betonen, heißen sie ‚hoffen‘ und ‚sollenden‘. Der Name dieser Ihrer Besitzung bedeutet also ein Land, in welchem die Hoffnung begonnen hat, was die Zukunft vollenden soll?“
„Ja, genauso ist es. Übrigens legen wir nicht am Festland, sondern zunächst an der den Hafen beschützenden Insel Ocama an.“
„Ocama? Wahrscheinlich ein zweites Macao, nur daß die Silben anders geordnet sind. Darf ich vermuten, daß dies eine sinnbildliche Bedeutung hat?“
„Eine symbolische und zugleich auch eine erklärende. Ihnen aber brauche ich über die Bedeutung dieses Namens ja wohl nichts mehr zu sagen. Sie verstehen sie auch ohne Worte. Auf Ocama liegt das frühere chinesische Sommerhaus Ihres Bekannten Fu, wo meine Yin uns erwartet. Ich habe ihr von Hongkong aus telegraphiert, während auch unser Tsi, ohne daß ich davon wußte, seinem Vater von dort aus eine Depesche sandte. Dieser letztere ist bei Yin, und beide wissen, daß wir morgen kommen. Das ist es, was ich Ihnen jetzt noch gern sagen wollte. Gute Nacht!“
„Gute Nacht!“ –
Wie ich vorausgesehen hatte, schlief ich heute sehr spät ein und versäumte mich am nächsten Morgen dann so sehr, daß die andern, als ich zum Frühstück kam, schon längst damit begonnen hatten. Mir fiel der Governor auf. Er hatte sich schon während der letzten Tage sehr unruhig gezeigt; jetzt aber machte er auf mich nun gar den Eindruck der Beklommenheit. Er genoß fast gar nichts und sprach nur dann, wenn eine Frage direkt an ihn gerichtet wurde. Er mochte wohl bemerken, daß mir dies auffiel, denn nach dem Frühstück zog er mich mit sich fort, und als wir allein miteinander waren, sagte er:
„Hört, Sir, wie es scheint, seht Ihr mir an, daß ich mich in einer höchst bedenklichen Verfassung befinde. Bin wie ein Schulknabe, der ins Examen muß, aber nichts gelernt hat und darum weiß, daß er sitzenbleiben wird! Habe die ganze Nacht nicht geschlafen; kann weder essen noch
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