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31 - Und Friede auf Erden

31 - Und Friede auf Erden

Titel: 31 - Und Friede auf Erden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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es hat ja immer nur das Himmelreich für unser Erdenreich den besten Rat. Es wollte sich mir im Gedichte zeigen, um durch dasselbe in mein Herz zu steigen. – – – Nun ist es da. Es ist die Seligkeit, die schon in diesem Leben mir gehört. O würde doch der Mensch nicht durch die Zeit und durch des Raumes Hinterlist betört, er würde kühn sich an das Ew'ge wagen und dann als Preis den Himmel in sich tragen!“
    Hatte ich schon einmal solche Worte vernommen? Wohl kaum jemals in meinem Leben, wenigstens in dieser Weise nicht. Sich an das Ew'ge wagen! Ist das vielleicht so verwegen, wie es klingt? Nein; wir sollen es sogar! Aber wir sollen nicht nur an das Ewige denken, sondern auch für die Ewigkeit leben, denn – wir leben ja schon in der Ewigkeit. Zeit wird ja nur der winzige Teil von ihr genannt, in welchem der Mensch nach seinen Erdenstunden zählt. – Waller hatte hier innegehalten. Nun sprach er im Ton der Liebe weiter:
    „Gib mir die Hand, wie du sie mir gereicht, als du, mein Weib und Engel, zu mir kamst. Es hatte sich mir schon der Tod gezeigt, grad als du mich in deine Führung nahmst. Ich bin ihm nur durch dich, durch dich entgangen und hab nun jenes Leben angefangen. – – – Wie dank ich dir! Nun bist du himmlisch mein, die du nur irdisch einst die Meine warst. Laß mich ein Schüler jener Liebe sein, als deren Strahl du dich mir offenbarst. Ich will ihr frei und ohne Falsch gehorchen und sie mir nicht auf andrer Namen borgen.“
    Er hatte seine beiden Hände ausgestreckt, dem Mondstrahl entgegen, und sie dann so ineinandergelegt, als ob er zwischen ihnen die Hand einer unsichtbaren Person festhalte. Jetzt machte er eine Bewegung, als ob er diese Hand wieder freigebe, und ließ die letzten Worte folgen, denen er am Schluß einen schweren Nachdruck gab:
    „Du lächelst froh, indem du von mir gehst. Die Hände faltend, schaust du himmelan. Ich höre, was du uns von dort erflehst: es ist die Seligkeit für jedermann. Was macht zum Himmelreich denn schon die Erde! Ein einz'ger Hirt und eine einz'ge Herde!“
    Das war das Ende seines heutigen Gesichtes. Er wandte sich nach einiger Zeit nach der andern Seite, und Tsi war überzeugt, daß er nun nicht wieder sprechen werde.
    Mary, welche drin bei ihrem Vater gesessen hatte, kam jetzt heraus zu uns. Auch sie war tief ergriffen. Wir sprachen noch lange über das, was wir gehört hatten. Kein Wort aber fiel darüber, ob der Zustand, in welchem Waller diese Visionen hatte, für ihn vielleicht gefährlich sei. Wir waren überzeugt, daß Tsi in diesem Fall unbedingt Einhalt getan hätte. Einer anderen Frage aber mußte ich Worte geben:
    „Glauben Sie, daß Mr. Waller weiß, was er spricht?“
    „Alles, alles weiß er, jedes Wort“, antwortete der Arzt. „Haben Sie es ihm nicht angehört, daß er während des Sprechens überlegt? Er bekommt das, was wir von ihm hören, zunächst nicht etwa für uns, sondern für sich selbst. Er hört es, wie wir hören, wenn gesprochen wird; er könnte es schweigend entgegennehmen; aber er spricht es laut und deutlich aus, weil es ihm dadurch leichter wird, es sich zu eigen zu machen. Er prägt es seinem Gedächtnis ein, und wenn er es auch nicht wörtlich behält, so nimmt er doch ganz gewiß wenigstens den Sinn aus dem visionären Zustand mit herüber in das körperliche Leben. Hier bewegt und entwickelt er es in sich weiter. Er kann sich dieser Einwirkung des Jenseits nicht entziehen; sie ist für ihn maßgebender und glaubwürdiger als die Meinungen aller irdischen Autoritäten, und so kommt es, daß seine Ansichten ganz andere werden, als sie früher gewesen sind. Er wird das, was man nicht hier, in dieser Welt der Irrsale, sondern in jenem Reich klargewordener Geister einen Christen nennt.“
    „Geister? Vielleicht auch Seelen?“ fragte Mary. „Glauben Sie, daß sie den Menschen sagen können, was meinem Vater gesagt worden ist? Sie befinden sich doch in der Ewigkeit; wir aber sind noch hier auf der Erde!“
    „Ewigkeit und Erde schließen einander doch nicht aus“, erklärte Tsi. „Die Ewigkeit ist vor uns, hinter uns, neben und rund um uns. Wir befinden uns in ihr. Unsere Erde ist eines der winzigen, ununterbrochen im Kreis rinnenden Körnchen der nie sich erschöpfenden, nie sich leerenden Sanduhr der Ewigkeit. Es ist einer der größten und unverzeihlichsten Gewohnheitsirrtümer, anzunehmen, daß die Ewigkeit für uns erst nach unserem Tod beginne. Wir leben in ihr und gehören zu ihr, wie die

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