31 - Und Friede auf Erden
trinken. Mir ist, als ob ich etwas Großes und Schweres verbrochen hätte, was mir nur diese Yin verzeihen könne! Habe ich mich etwa an ihr versündigt? Oder vielleicht an China im allgemeinen? Ich sage Euch, daß mir scheint, ich habe kein gutes Gewissen! Fatal, höchst fatal! Ich fühle, diese Yin macht mir mehr zu schaffen, als mir ganz Indien mitsamt Ceylon zu schaffen gemacht hat! Und dabei kenne ich sie noch nicht! Vielleicht aber ist grad diesem Umstand diese innerliche Unsicherheit zuzuschreiben! Ich weiß ja gar nicht, wie ich sie zu nehmen habe, wie ich sie begrüßen und was ich tun und sagen soll! Fühle ich etwa als Vertreter meiner Nation diese sonderbare gelbe Angst vor der früher so verachteten und unterschätzten gelben Rasse? Habt Ihr eine Ahnung, wie mir zumute ist?“
„Beinahe!“ antwortete ich.
„Nun, wie denn ungefähr?“
„Wie einem braven weißen Gentleman, der einen ebenso braven gelben Gentleman nur dieser andern Farbe wegen nicht als Gentleman behandelt hat und nun wegen der unausbleiblichen Folgen in Besorgnis ist. Oder, da Ihr von Eurer Nation sprecht, es ist Euch zumute wie einer Volksseele, welche die vor Gott ganz ebenso berechtigte Seele eines andern Volkes in diesen Rechten schwer gekränkt und geschädigt hat und hierauf befürchtet, von dieser Seele vor Gottes Gericht gezogen zu werden.“
Er sah mir einige Augenblicke starr in das Gesicht und sagte dann:
„Getroffen, ganz genau getroffen! Ja, so sieht es in meinem Innern aus! Ich gebe das aufrichtig zu, denn Ihr wißt, daß ich nie eine Lüge sage. Jene stürmische Familiensitzung mit ihrem zornigen Schluß, der unvorsichtigen Wette, wie gern möchte ich sie ungeschehen machen! John kannte seine Yin; er wußte, was er tat. Ich aber, der total Unwissende, überhob mich in meinem National- und Familienhochmut, seinen und unsern ganzen Besitz von einer frivolen, dreisten Wette abhängig zu machen. Genau ebenso stellt auch die bewaffnete Hand das Wohl der Völker auf das Spiel und bezahlt mit Menschenblut, was ihr der Friede ganz umsonst und doppelt geben würde. Wenn die Nationen glauben, Wetten mit- oder gegeneinander eingehen zu müssen, so sollten sie es doch in anderer Weise und um andere Preise tun. Wo sind heut alle die Gewinne, um derentwillen Jahrtausende hindurch mit Blut gewettet wurde? Wer wird in wieder tausend Jahren die Länder besitzen, um welche die Gegenwart mit blutigen Waffen wettet? Sind solche Gewinne derartige Einsätze wert? Gibt es denn nicht bleibende Gewinne, welche durch Einsätze zu erlangen sind, die weder Angst noch Sorge oder Schmerz bereiten? Ich sage Euch, Sir, es wird auch um dieses China viel Blut, sehr viel Blut fließen, und wenn es geflossen ist, wird es umsonst vergossen worden sein, weil ‚alles, was das Schwert erwirbt, auch durch das Schwert im Krieg stirbt‘. Die Wette, welche ich mit John eingegangen bin, ist keine blutige, aber der Hochmut hat sie mir diktiert, und darum denke ich, daß ich sie wohl verlieren werde. Er aber hat all sein Hab und Gut für seine Liebe eingesetzt, und selbst wenn er verlöre, würde er der Gewinnende sein, weil es für die Liebe, die er niemals verlieren kann, ja doch kein Opfer gibt. Ich ging natürlich diese Wette in der Absicht und in der Überzeugung ein, daß ich sie gewinnen werde. Jetzt fühle ich diese Überzeugung als eine Schuld, welche ich abzutragen habe, und was die Absicht betrifft, so will ich Euch gestehen, daß ich sie als Bezahlung dieser meiner Schuld betrachte. Ich gebe sie hin! Und warum? Aus Liebe? denkt Euch doch nur, aus Liebe! Und wo kommt diese Liebe so plötzlich bei mir her? Dort aus der Kajüte, in welcher das Bild hängt und wo der Kranke mit seinem Engel sprach. Die Frau, welche ich früher als ‚Gespenst‘ bezeichnete, ist mir so vertraut geworden, obgleich ich sie nur erst im Bild kenne. Ich befürchte, daß ich, wenn sie nun persönlich vor mir steht, diesen unsern guten John sogar um sie beneiden werde, und das wird mich um die eindrucksvolle Haltung bringen, welche ich meiner Nationalität, meinem hohen Stand und meiner persönlichen Würde schuldig bin. Kurz und gut, ich habe aus verschiedenen Gründen Angst vor dieser Yin und befinde mich ihr gegenüber in der Lage eines kleinen, unerfahrenen Bürgers, der vor irgendeiner fürstlichen Dame zu erscheinen hat und schon im voraus überzeugt ist, daß er sich gründlich falsch benehmen werde. Wenn sie mich etwa in der Weise begrüßt, in welcher ich sie
Weitere Kostenlose Bücher