31 - Und Friede auf Erden
möglich, eine weißgekleidete Frauengestalt zu bemerken, welche auf dem am höchsten gelegenen Balkon stand und, sobald wir in Sicht kamen, sich weit über das Geländer beugend, mit einem Tuch winkte.
„Yin, meine Yin!“ rief Raffley auf der Kommandobrücke. „Hoch die Wimpel! Alle Grüße auf! Tom, sage ihr, daß wir sie sehen!“
Die Jacht stand im Nu in ihrem wallenden und wehenden Paradeschmuck; das Geschütz ließ seine Stimme hören, und vom Landungsplatz her ertönte auch nach jedem unserer Schüsse einer. Dort lagen mehrere große Dschunken, welche bewiesen, daß die Insel auch mit dem entfernteren Festland in Beziehung stand. Zahlreiche Boote bewegten sich hin und her, von denen aus uns laut und freudig zugerufen wurde. Der ganze hohe Uferdamm, an welchem wir anlegen mußten, stand voller Menschen, deren Stimmen uns entgegenschallten. Welche Liebe hatte der früher so kalte, steife Englishman sich hier doch zu erwerben gewußt! Gongs wurde geschlagen; alle möglichen andern chinesischen Instrumente ertönten. Die Häuser waren beflaggt oder sonst wie bunt behangen, und in den Lüften schwebten vielgestaltete Drachen, die entweder durch ihre Form oder irgendein angehängtes Zeichen der Freude über die Rückkehr Raffleys Ausdruck geben sollten. Dieser aber schien für alle diese Ovationen jetzt weder Augen noch Ohren zu haben. Sein Blick blieb hinauf nach dem Balkon gerichtet, bis die Jacht den Damm erreichte und sich mit Hilfe der vorhandenen Taue und Ringe längsseits an ihn legte. Da kam Tsi aus seiner Koje. Er war jetzt chinesisch gekleidet, und ich darf wohl sagen, daß er uns allen in dieser Tracht noch besser gefiel als in der europäischen. Sie ließ ihn ‚bedeutender‘ erscheinen. Es hat gewiß seine guten Gründe, daß der Orient gern faltige Gewänder trägt.
Grad da, wo wir die Barriere zu öffnen hatten, standen im Hintergrund die für uns bestimmten Gepäck- und Sänftenträger, vor ihnen die Beamten des Ortes, welche dem Heimkehrenden ihren Respekt erweisen wollten, und ihnen ganz voran kein anderer als – – – Fu, der, allerdings unter einem anderen Namen, auch im Ausland weitbekannte Mandarin allerhöchsten Ranges, welcher aber heut und hier so einfach wie ein ganz gewöhnlicher Chinese gekleidet war. Er schien die Begrüßung mit dem Freund kaum zu erwarten können, denn die Landebrücke lag noch nicht fest, so kam er herüber auf das Deck und auf den ebenso schnell von oben herabsteigenden Raffley zu. Noch ehe er ihn erreicht hatte, rief er aus:
„Endlich, endlich, du Verschwiegener, du Geheimnisvoller! Wie unbeschreiblich hast du mich mit deinem Glück überrascht, von dem ich gar nichts wußte!“
Sie schlangen die Arme umeinander und küßten sich wie Brüder, welchen nichts schmerzlicher ist, als voneinander getrennt zu sein. Dann kam er zu mir, zog auch mich an sich und berührte mit den Lippen meine beiden Wangen. Mary küßte er die Hände; dem Sejjid schüttelte er wie einem ihm Gleichstehenden herzhaft die Hand, und Fang wurde in chinesischer Weise, aber ganz mit derselben Herzlichkeit begrüßt. Dann erst ging er zu seinem Sohn. Der Governor hatte sich in seiner innerlichen Beklommenheit etwas abseits gehalten; nun aber brachte Raffley den Mandarin zu ihm und stellte ihn diesem nur mit den zwei Worten ‚Mein Onkel‘ vor. Der alte Herr schickte sich an, eine tiefe, zeremonielle Verbeugung zu machen, kam aber nicht dazu, sie auszuführen, denn Fu legte seine Arme schnell auch um ihn, küßte ihm die beiden Wangen, schob ihn dann etwas von sich ab, betrachtete ihn in wohlgelungener, neckischer Weise und sagte dann:
„Ein echter Raffley, well! China freut sich, Old England endlich, endlich hier zu sehen, weil es sicher weiß, daß es in Liebe kommt!“ Und sich zu Raffley wendend, fügte er hinzu: „Nun aber alle schnell hinauf zu deiner – – – nein, zu unserer Yin. Doch vorher muß ich dir, mein Freund und Bruder, sagen, daß dir die reinste, schönste Seele Chinas angehört. Dein Herz hat sich von uns unendlich mehr geholt, als du dir mit der Waffe des Krieges jemals hättest erobern können! Wo ist der Kranke, den du angemeldet hast?“
„Für den sorge ich“, antwortete Tsi an Raffleys Stelle. „Wie ich sehe, sind Träger mehr als genug vorhanden.“
Auf einen Wink von ihm wurden die Sänften herbeigebracht. Einige waren für zwei Personen. Der Governor zog mich zu einer derselben hin, schob mich hinein und kam mir dann nachgestiegen. Die
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