31 - Und Friede auf Erden
Euch ein andermal ebenso gern zur Hilfe! Horch!“
Es klopfte an die Tür. Als wir nicht sofort antworteten, wurde sie um einen schmalen Spalt geöffnet, und eine süße, unendlich wohllautende Frauenstimme fragte:
„Verzeihung! Wohnt hier mein Onkel Governor?“
Der Genannte fuhr von seinem Sitz auf und flüsterte mir, indem sein Gesicht die Farbe verlor, in für ihn schrecklicher Ahnung zu:
„Mein – mein – mein Onkel Governor?! Der bin ich wohl! Aber – aber dieser – dieser John Raffley hat doch keine solche – solche Stimme! Sollte – –?“
Ich antwortete ihm nicht, sondern ging zur Tür und schob sie vollends auf. Ja, sie war es – Yin! Sie kam allein; niemand begleitete sie. War sie so schön, wie ihr Porträt uns hatte erwarten lassen? Was soll ich sagen! Das kam so schnell, so überraschend. Ich sah eine weißgekleidete, engelgleiche Frauengestalt, eine Rose im Haar und ein kleines, duftendes Veilchenbouquet an der Brust, welche nach einem kurzen Blick auf mich an mir vorüber in das Zimmer trat und dann so vor dem Uncle stehen blieb, daß ich nur die schöngezeichnete Wangenlinie ihres Profils sehen konnte.
„Ja, du bist es, mein lieber, lieber Onkel!“ rief sie jubelnd aus. „Ich kenne dich aus dem Album meines John! Komm, lege mir die Hände auf das Haupt, und sei mir gut! Ich weiß von ihm, daß du so gerne gütig bist!“
Sie glitt vor ihm nieder, faltete die Hände und schaute bittend zu ihm auf. Er stand zunächst bewegungslos. Die Farbe kam und ging auf seinen Wangen. Ich sah, daß er zitterte. Sein weitgeöffnetes Auge war auf sie wie auf eine wunderbare, überirdische Erscheinung gerichtet. Dann bewegte er die Hände; sie bebten. Indem sie sich langsam auf den Kopf der Knienden niedersenkten, hob er den seinen empor, schlug die Augen wie zum Himmel auf und sagte, indem er mit den hervorbrechenden Tränen kämpfte:
„Mein Herr und Gott – – – das habe ich nicht verdient! Ich war so schlimm, so bös zu ihr, und sie bringt solche, solche, solche Liebe! Mein Segen ist nichts wert, wenn du nicht selbst ihn gibst. O sende ihn ihr tausendfach und tausendfältig zu und – – –“
Mehr hörte ich nicht, denn ich schlich mich hinaus, schloß möglichst leise die Tür und entfernte mich. Wenn England China in so aufrichtiger und reuevoller Weise segnet, ist Deutschlands Unterstützung überflüssig.
FÜNFTES KAPITEL
Der Shen- Ta -Shi
Die bisherigen Abschnitte des vorliegenden Buches sind, wenn auch in etwas anderer Fassung, bereits einmal im Druck erschienen, und zwar unter dem Titel ‚Et in terra pax‘. Das war vor einigen Jahren, kurz nach der Rückkehr von meiner letzten, großen, fast zwei Jahre dauernden Reise, die mich zuerst nach Afrika und dann durch das ganze südliche bis hinter nach dem östlichen Asien führte. Die hierbei gemachten Studien werden mehrere Bände füllen, deren erster hier mit ‚Und Friede auf Erden‘ beginnt.
Damals fragte ein rühmlichst bekannter, inzwischen verstorbener Bibliograph bei mir an, ob ich ihm ebenso wie zu früheren Unternehmungen nun auch zu einem großen Sammelwerk über China einen erzählenden Beitrag liefern könne. Diese Anfrage geschah telegraphisch, weil ihm die Sache eilte. Ich zögerte nicht, ihm ebenso telegraphisch eine bejahende Antwort zu senden, denn ich hatte vor kurzem ‚Und Friede auf Erden‘ zu schreiben begonnen, hoffte, es schnell zu beenden, und kannte diesen Herrn als einen Mann, dem ich diese eine, gelegentliche Ausgabe meiner Erzählung ganz gut und gern überlassen könne. Freilich, hätte er mir mitgeteilt, daß er mit diesem Sammelwerk eine ganz besondere, ausgesprochen ‚abendländische‘ Tendenz verfolgte, so wäre ihm anstatt des Ja ganz unbedingt ein kurzes Nein geworden.
Da mir nichts Gegenteiliges gesagt wurde, nahm ich als ganz selbstverständlich an, daß es sich um ein gewiß unbefangenes, rein geographisches Unternehmen handle, welches nicht von mir verlange, anstatt bisher nur für die Liebe und den Frieden nun plötzlich für den Haß, den Krieg zu schreiben. So erzählte ich denn ganz unbesorgt, was ich zu erzählen hatte, bis mit einem Male ein Schrei des Entsetzens zu mir drang, der über mich, das literarische Enfant terrible, ausgestoßen wurde. Ich hatte etwas geradezu Haarsträubendes geleistet, allerdings ganz ahnungslos: Das Werk war nämlich der ‚patriotischen‘ Verherrlichung des ‚Sieges‘ über China gewidmet, und während ganz Europa unter dem
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