31 - Und Friede auf Erden
Kunstwerk unserer Yin mit den besten Ausdrücken der Begeisterung zu beschreiben und sodann die Künstlerin auch selbst dazu. Denn ich fühle es sehr deutlich, daß ich sogar die Pflicht habe, die schöne Herrin von Raffley-Castle bis auf das kleinste Kräuselhärchen im Nacken genau zu schildern. Aber ich bin leider kein Künstler und habe also zu schweigen. Zu meiner Rechtfertigung möge dienen: Ich besitze nicht einmal den nötigen Verstand, den Begriff ‚Kunst‘ definieren zu können, und bin auch weder so weise noch so klug, mir zu sagen: Ja, das ist ja eben die Kunst, daß man nichts von der Kunst versteht!
Aber eines will ich doch sagen: Wir waren alle still. Niemand sprach. Kein einziger fand einen hörbaren Ausdruck für das, was er empfand. Wie von derselben Kraft ergriffen, welche diese Seelen aus der Gruft emporzog und durch den Saal der Totenköpfe schnell hinaus in das helle Leben leitete, so ging ich von Figur zu Figur bis hin zur klarsten Stelle an der Tür und dann noch weiter in den Garten bis an den äußersten Rand desselben, wo eine starke Mauerbrüstung vor dem Sturz in große Tiefe schützte. Da stehe ich – ich, ich, der arme Teufel, im hohen Marmorschloß bei Leuten, die ihre Ahnen alle aufgeschrieben hatten und ihre Millionen nach Hunderten zählen konnten. Dazu die höchsten Gottesgaben, die es auf Erden gibt: Talent und gar Genie! Und vor mir dieses schöne Land, welches ich überblicken kann auf viele Meilen hin! Von diesem Schloß aus geht Segen drüber hin, gespendet von so reichen, reichen Händen. Wer bin dagegen ich, und was? Das kleine Deutschland gegen Großbritannien, wie der Governor wahrscheinlich sagen würde!
Da hörte ich leichte Schritte, welche sich mir näherten, und drehte mich um. Da stand sie vor mir, Yin! Sie schaute mich an und sagte nichts dazu. Ich habe niemals wieder solchen Blick gesehen. Er tat mir weh. Als ob ich ihr so viel, viel zu verzeihen hätte! Ich nahm ihre beiden kleinen Hände, hüben eine, drüben eine, und lächelte ihr ermunternd zu, sagen konnte ich nichts.
„Darf ich – – –?“ klang es leise aus ihrem Munde.
„Yin darf nie; sie soll!“ antwortete ich.
„Haben wir denn wirklich gleiches Recht, wie John mir immer sagt? Wir armen, gelben Menschen?“
Da kam es wie eine Wut über mich. Dieses wunderbare, gottbegnadete Wesen! Und so verschüchtert durch den Stolz auf ein helleres Menschenfell! Ich bezwang mich aber und sagte in ruhigem Ton:
„Wo steht geschrieben, welche Farbe der Mensch im Paradies hatte?“
„Ich weiß es“, behauptete sie. Sie sprach englisch.
„Wirklich?“ fragte ich.
„Ja. John hat mir viel von Euch erzählt, Sir. Er hat nie jemand so lieb gehabt. Darum kam ich jetzt hierher, um Euch zu zeigen, wie gerne ich Euch habe. Ihr erwähnt das Paradies, und ich habe es gezeichnet. Ich wünschte, daß Ihr es sehen solltet, ohne daß Euch andere dabei stören. Die andern sind noch drin im Ahnensaal, von dem sie sich wohl nicht gleich trennen werden. Darf ich Euch führen, Sir?“
Ich folgte dieser ihrer Aufforderung natürlich nur zu gern. Es gab eine zwar schmale, aber bequeme Stufenreihe, welche, nur für die Herrschaft selbst, von hier, dem Garten aus, nach oben führte. Die stiegen wir empor zu dem etwas höher liegenden Gebäude, in welchem sich befand, was ich jetzt sehen sollte. Vor demselben saß auf einer zwischen zwei prächtigen Rosenpappeln stehenden Bank ein alter Herr, der, als er uns erblickte, höflich aufstand und sich verbeugte. Ich hatte Mühe, meine Überraschung zu verbergen, unsern malaiischen Priester aus dem Kratong von Kota Radscha zu sehen. Die chinesische Kleidung, die er trug, glich der malaiischen. Sein Haar war ebenso weiß und ebenso lang. Die Gestalt und ihre Haltung war dieselbe; das Gesicht widerstritt dem nicht, und als Yin mit ihm zu sprechen begann und er ihr antwortete, bewahrheitete sich die alte Regel: Wenn sich zwei Menschen ähnlich sehen, sind auch ihre Stimmen einander ähnlich. Kurz, dieser Mann war mir eine Überraschung, und zwar eine angenehme, und als ich ihm vorgestellt wurde und also erfuhr, daß er der Pfarrer Heartman sei, da hatte ich ihn schon gleich ganz herzlich lieb.
Ich war ihm nur persönlich unbekannt, sonst aber nicht, denn er wußte alles, was ich zusammen mit John erlebt hatte. Als er hörte, daß ich das Paradies sehen solle, aber ungestört, trat er bescheiden zur Seite, um uns die Tür freizugeben, sagte aber, daß er mich dann gern
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