31 - Und Friede auf Erden
sich hier nicht um ein Vergehen, sondern nur um eine Verschiedenheit der Ansicht handeln, zumal der Governor, sobald das Quiproquo vorüber war, sich ganz so unbefangen wie vorher zu ihm verhielt.
Und doch konnte es dem scharfen Beobachter nicht entgehen, daß ein unsichtbares Fragezeichen zwischen dem einen und dem andern schwebte, und dieses Fragezeichen schien ein chinesisches zu sein. Es verstand sich ganz von selbst, daß wir, die wir uns hier am Tor von China befanden, dieses Land auch im Gespräch wiederholt berührten; dann wurde der Governor jedesmal still; man merkte deutlich, daß er sich Reserve auferlegte. Und Raffley war es anzuhören, daß er sich bemühte, seine Äußerungen abzumessen. Ich selbst befand mich da in einer ziemlich unbequemen Lage. Der Governor war kein Freund der mongolischen Rasse; das stand fest. Raffley war es früher auch nicht gewesen, schien aber seine Ansicht geändert zu haben; jedenfalls gab es für ihn einen Grund, sich nicht so zu äußern, wie er es zu dürfen wünschte. Und ich mußte mich, um nicht anzustoßen, mit oberflächlichen Bemerkungen behelfen, obgleich es in meiner Natur liegt, jeder Sache gern auf den Grund zu gehen. Darum traten zuweilen Pausen ein, welche selbst durch Liebenswürdigkeiten nicht unbemerkbar gemacht werden konnten.
Ich muß sagen, daß Raffley mir jetzt anders vorkam, als er früher gewesen war. Schon körperlich hatte er sich verändert. Seine hagere, knochige Gestalt war voller geworden; die scharfen Linien seines Gesichtes hatten sich gemildert. Die Nase trat nicht mehr so hervor; es zeigte sich alles runder, sanfter, ansprechender als vorher. Er war, um mich so ausdrücken zu dürfen, jetzt bedeutend ‚hübscher‘ als vorher. Seine Physiognomie war früher die eines scharfen Denkers, eines sehr willenskräftigen Mannes gewesen, der mit selbstbewußter Rücksichtslosigkeit seine eigenen Wege geht; nun aber schien der Geist sich mit der Seele vermählt zu haben, und das, das freute mich so sehr. Der Spleen war vollständig verschwunden und mit ihm die unendliche Gleichgültigkeit für alles, was nicht Old England und den Sport betrifft. Er zeigte ein lebhaftes Interesse für alles Reinmenschliche, und der starre, rechthaberische Dogmenglaube von früher hatte auch ein anderes, freundlicheres Gesicht bekommen. Damals war er nichts weiter als ein Engländer im Superlativ, ein Gentleman vom Scheitel bis zur Sohle; jetzt aber war er mehr, viel mehr, nämlich ein harmonisch denkender Mensch und ein zwar nicht sehr schöner, aber dafür bedeutender Mann.
Indem ich das alles beobachtete, fragte ich mich, durch welche Ursache diese Veränderung wohl hervorgebracht worden sei. Ich hätte wohl recht gerne das ‚ewig Weibliche‘ zur Beantwortung herbeigezogen, zumal ich an mir selbst erfahren habe, welchen segensreichen Einfluß diese größte Macht der Erde auf unsere sogenannten ‚männlichen‘ Schwächen und Härten hat; aber er war stets so unnahbar maskulin gewesen, daß ich diesen Gedanken fallenließ, zumal wir jetzt bis zum späten Abend beisammen blieben, ohne daß auch nur ein einziges Wort gefallen wäre, welches mir erlaubt hätte, zu vermuten, daß er jetzt verheiratet sei. Ich stand da vor einem psychologischen Rätsel, dessen Lösung ich nicht meinem Scharfsinn, sondern der Zukunft überlassen mußte.
Und diese Zukunft, wenigstens die naheliegende, unmittelbare, schien durch dieses heutige Zusammentreffen eine Direktion zu bekommen, an welche ich bis zum Erscheinen Raffleys in meiner Wohnung nicht hätte denken können. Ich sagte ihm nämlich, daß ich seine ‚Yin‘ von der ‚Coen‘ aus gesehen hätte, und erwähnte dabei meine Absicht, auf dieser letzteren Passage zu nehmen.
„Passage?“ fragte er. „Auf einem Schiff, welches ‚Coen‘ genannt wird? Fällt Euch gar nicht ein, Charley! Ihr nehmt natürlich Passage auf meiner ‚Yin‘. Basta!“
„Herzlichen Dank, Sir!“ antwortete ich. „Aber ich muß mit der ‚Coen‘ nach Uleh-leh.“
„Das ist der Hafenort von Atjeh. Was wollt Ihr dort?“
„Eine Geschäfts- oder vielmehr Geldangelegenheit ordnen. Es betrifft nicht eine eigene Sache; ein Freund hat mich darum gebeten.“
„Ist es notwendig?“
„Sogar eilig. Es handelt sich zwar um kein großes Kapital; für den Betreffenden aber würde der Verlust groß genug sein, ihn zu ruinieren.“
„So müßt Ihr freilich hin, wenn Ihr's versprochen habt. Aber warum mit dieser ‚Coen‘? Meine ‚Yin‘ kann
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