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31 - Und Friede auf Erden

31 - Und Friede auf Erden

Titel: 31 - Und Friede auf Erden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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zu tragen habe, die Treppe hinaufsteigen.
    Wie hatte er so recht, als er meinte, daß er anders geworden sei! Ihn so lange und so zusammenhängend sprechen zu hören wie jetzt, das war mir früher nie passiert. Er hatte grad durch seine Wortkargheit und Kürze imponiert. Und wie anders hatte er nicht bloß sprechen, sondern auch fühlen gelernt! Es war etwas erwacht, was früher in ihm geschlafen hatte. Wohl der Hand, die es aus dem Schlaf erweckt hatte!
    Am andern Morgen kam er mit seinem Verwandten zu mir herunter, um den Kaffee bei mir einzunehmen. Welchen Grades diese Verwandtschaft eigentlich war, das wußte ich nicht und war auch nicht zudringlich genug, danach zu fragen. Sie nannten sich nicht thou, sondern you, sprachen sich mit Sir an, und wenn der Ton einmal intimer wurde, so war ein dear uncle oder dear nephew beliebt. Während wir bei mir saßen, kam Tom ‚der Kapitän‘, um zu melden, daß auf der ‚Yin‘ alles ‚all right‘ sei; das war sein Lieblingswort. Er war lang und hager, hatte die ganze Haltung und den schleppenden Gang, der dieser Art von Leuten eigen zu sein pflegt, und besaß zwei wunderbar kluge, kleine Äuglein, welche höchst scharf und selbstbewußt über die große, scharfgeschnittene Nase hinwegblickten. Raffley hatte ihn gewöhnt, nie anders als nur in den kürzesten Worten zu sprechen. Er erkannte mich sofort, und als er erfuhr, daß ich mitfahren werde, schlug er mit der rechten Faust in die linke Hand und rief dabei aus: „Das ist ein Wort! Macht mir Freude!“ Das war sein ganzer Herzenserguß, dafür aber um so aufrichtiger gemeint.
    Nach dem Kaffee suchten wir das Büro der Hongkong and Shanghai Banking Corporation auf. Als Raffley seinen Namen nannte, konnte ich den Eindruck wohl bemerken, den dieser auf alle Anwesenden machte. Er trat auf, als ob er der Chef dieser Filiale sei, und es erfüllte sich, was er gestern abend vorhergesagt hatte: in zehn Minuten war die Sache abgemacht. Mein Auftraggeber konnte zufrieden sein!
    Eben wollten wir gehen, da trat eine Dame ein, deren Anblick mich zu einem Ausruf freudigster Überraschung zwang – – – Mary Waller. Sie war außerordentlich bleich, sah sehr abgespannt aus und schien sich in einer nicht gewöhnlichen Lage zu befinden, denn ihr Anzug zeigte die Spuren einer Vernachlässigung, welche ihr sonst nicht eigen war, jetzt aber von ihr gar nicht beachtet wurde. Sie war so mit sich selbst beschäftigt, daß sie meinen Ausruf gar nicht auf sich bezog, mich überhaupt nicht sah, sondern mit schnellen Schritten auf den Disponenten zuging und ihm die kurze, hastige Frage vorlegte:
    „Kennen Sie mich noch?“
    Er sah sie an. Ihr zwar seidener, aber sehr zerknitterter und mit einigen Rissen versehener Mantel wollte ihm nicht gefallen; aber Mary war eine Persönlichkeit, welche man nicht leicht vergessen konnte. Er besann sich und antwortete höflich:
    „Ja, ich kenne Sie. Sie sind Amerikanerin und haben vor einiger Zeit zweitausend Gulden bei uns entnommen. Ich glaube, Ihr Herr Vater war dabei.“
    „Richtig! Heute brauche ich etwas über fünfzigtausend.“
    „Gern. Darf ich bitten!“
    Selbstverständlich erwartete er, daß sie ihm irgendein Kreditpapier vorlegen werde, und hielt ihr die Hand entgegen. Sie aber stieß, halb verlegen und halb zornig über ihre gegenwärtige Situation, die Worte hervor:
    „Ich bitte, mir diese Summe auf mein Wort und meine Ehrlichkeit zu geben. Ich habe keine Anweisung!“
    „Tut mir leid; ist prinzipiell unmöglich!“
    „Mein Himmel! Ich muß und muß es haben! Mein Vater befindet sich in der Gefangenschaft der Malaien von Atjeh, drüben auf Sumatra. Sie haben uns überfallen und alles abgenommen, auch die Kreditpapiere. Sie verlangen fünfzigtausend Gulden Lösegeld und haben mich in dieser Nacht in einer Praue herübergebracht, um diese Summe zu holen. Die Papiere aber verweigerten sie mir!“
    Sie hatte diese Worte stoßweise, in wachsender Angst hervorgebracht. Der Disponent schüttelte den Kopf und erwiderte, zwar teilnehmend, aber mit geschäftlicher Bestimmtheit.
    „Ohne Unterlage wird Ihr Wunsch bei jeder Bank vergeblich sein. Das Unglück, welches Sie betroffen – – –“
    Er wurde unterbrochen, denn Raffley, welcher keine Ahnung davon hatte, daß ich die Bittstellerin kannte, stellte sich mit einigen schnellen Schritten an ihre Seite und erklärte:
    „Ich eröffne dieser Dame hiermit bei Ihnen einen Kredit über sechzigtausend holländische Gulden, und bin

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