31 - Und Friede auf Erden
Lob mit ein. Da kam auch die Photographie des Marmorkopfes zum Vorschein. Raffleys Augen bekamen doppelten Glanz; es war ein Blick der innigsten, der rührendsten Liebe, mit welchem er sie betrachtete. Ich hatte noch nie solche weiblichen Züge gesehen. Waren sie kaukasisch oder mongolisch? Waren das mandelförmige oder geschlitzte Augen? Jeder einzelne Teil dieses ganz eigenartig schönen Gesichtes war eine Frage, welche kein Pinsel und kein Meißel zu beantworten vermochte, und trotzdem oder wohl grad darum kamen mir die Worte über die Lippen:
„Ist das Porträt oder Phantasie?“
Da sah der Governor mich bedeutungsvoll an, und ich las von seinen sich lautlos bewegenden Lippen:
„Das ist das Gespenst!“
Raffley sah diese Mitteilung seines Verwandten nicht; er schien seinen Blick nicht von dem Bild trennen zu können, schob es dann aber doch zu den andern hin und sagte; indem er die Hände wie in ihn plötzlich überkommender Andacht zusammenlegte:
„Es ist Yin, die Güte! Wißt Ihr, Charley, was Güte ist? Nein. Niemand weiß es. Oder seid Ihr wissend genug, mir nicht eine kalte Definition des Begriffes zu liefern, sondern mir Eure ganze Persönlichkeit als Offenbarung dieser Güte aufzuopfern?“
Er sah mich, indem er hoch aufgerichtet vor mir stand, an. Dann richtete sein Blick sich zur offenen Tür hinaus in das Freie, wo die Sterne leuchteten und auf den Wogen silberne Lichter fluteten, und fügte langsam hinzu:
„Und so eine Offenbarung ist mir geworden! Mein Gott, ich danke dir!“
Der Governor zog die Spitzen seines dichten, grauen Schnurrbartes nervös durch die Finger. Diese Wendung war ihm unangenehm. Vielleicht hatte er ein abermaliges, zurechtweisendes Wort auf den Lippen; aber es wurde nicht ausgesprochen, denn die Kellner kamen und baten um die Erlaubnis, abdecken zu dürfen. Wir hatten eine Stunde auf das Essen verwendet und waren dann noch fast dreimal so lange am Tisch sitzen geblieben. Ich hielt es also für an der Zeit, mich zu verabschieden. Der Governor begleitete mich höflich bis an die Treppe; Raffley aber ging mit bis in den Garten hinab.
„Noch einen Augenblick, Charley“, sagte er, mich zu einer Bank führend. „Setzen wir uns!“
Ich nahm an, daß er mir noch eine besondere Mitteilung zu machen habe; er saß aber längere Zeit schweigend da, ehe er begann:
„Ihr habt Fragen auf dem Herzen. Nicht?“
„Aufrichtig geantwortet: Nein!“
„Well! Ihr seid eben so, wie man sich einen Freund wünschen muß. Nicht wahr, Charley. Ihr habt früher gebetet und betet heut auch noch?“
„Ja.“
„Auch für andere?“
„Wer nicht für andere beten kann, der soll lieber gar nicht beten.“
„Richtig! So bitte ich Euch, tragt dem Herrgott auch für mich ein gutes Wort hinauf! Zweifelt nicht daran, daß ich es nötig habe! Ich möchte unsere Wette so gern, so gern gewinnen. Es ist wohl kein Wortbruch, wenn ich Euch im Vertrauen sage, daß ich Raffley-Castle mit allem, was zu diesem Schloß und zu diesem Namen gehört, an diese Wette gewagt habe.“
„Unmöglich!“
„Nicht unmöglich, sondern wirklich!“
„Aber, Sir, ich kann es doch nicht glauben! Ich weiß, wie gern Ihr wettet. Bei Eurem ungeheuren Vermögen ist dies unter gewöhnlichen Verhältnissen auch mit keiner Bedenklichkeit – – –“
„Pshaw!“ unterbrach er mich. „Daran denke ich nicht. Ich habe ja grad dieses ungeheure Vermögen auf eine einzige Karte gesetzt. Wenn ich verliere, bin ich in Beziehung auf das Geld ein armer Mann, aber in anderer Beziehung vielleicht noch reicher als vorher. Aber um anderer willen will und muß ich gewinnen. Darum betet für mich, Charley! Euer Gebet soll nicht meinem Vermögen gelten, sondern etwas ganz anderem und viel Höherem. Werdet Ihr?“
„Ja, Sir John.“
„Ich danke Euch! Glaubt nicht, daß etwas Schlimmes zwischen mir und dem Governor liegt! Es ist eine einfache Familienangelegenheit, über die er anders denkt, als ich gedacht habe. Und wenn Ihr mich jetzt vielleicht etwas anders findet, als ich früher gewesen bin, so seid überzeugt, daß ich dadurch nicht verloren, sondern gewonnen habe. So, das ist es, was ich Euch sagen wollte. Mögen der ersten ‚guten Nacht‘, die wir uns jetzt nach dem heutigen Wiedersehen wünschen, die guten Tage folgen, in denen der jetzige John Raffley als Mensch das nachholt, was der frühere als Englishman versäumt hat!“
Er drückte mir die Hand und ging. Ich sah ihn so langsam, als ob er an Gedanken schwer
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