311 - Der Weg des Bösen
Vorausgesetzt, du kannst für den Schutz meiner Angehörigen garantieren.«
»Du hast mein Wort. Ihr müsst ja nicht gleich durch die Straßen spazieren. Es war sicherlich richtig, dass ihr euch nach dem Anschlag zurückgezogen habt.«
Leto hatte allerdings das Gefühl, dass die Angst vor Vergeltung nicht der wahre Grund für den Rückzug gewesen war; da steckte noch etwas ganz anderes dahinter. Aber was?
»Nun«, sagte Windtänzer, »in einem gebe ich dir recht: Die Kinder des Vater Mars müssen beschützt werden. Also begraben wir die alte Fehde und stehen zusammen, wie wir es in einer solchen Lage immer getan haben. Meine Bedingung ist, dass wir dich auf unsere Weise unterstützen. Wir werden unauffällig sein, damit es nicht zu Angriffen seitens der Städter kommt.«
»Einverstanden«, sagte Leto erleichtert. Zeigte sich hier ein Hoffnungsschimmer? »Und ...Maya?«
»Wir werden sehen, was wir tun können. Meine Leute können Kontakt zu mir halten, und ich werde sie von hier aus stärken. Möglicherweise gibt es einen Weg zu ihr. Vorausgesetzt, sie ist nicht hirntot.«
Leto war nicht sicher, ob er nicht gerade einen großen Fehler beging. Dem früheren Windtänzer hätte er bei aller Abneigung blind vertraut. Aber der Mann, der heute vor ihm stand ...war so ganz anders. Er stellte ja nicht einmal eine Forderung als Gegenleistung, dabei hätte er den Präsidenten in seiner Hand gehabt. Denn welche Wahl hatte Leto? Er musste nach jedem Strohhalm greifen.
Auch wenn es nicht verlangt wurde: Dafür sollten die Waldleute dann auch weiterhin in Frieden leben können, dafür würde er sorgen.
»Ich brauche einen Kontaktmann«, sagte er.
»Keine Sorge, du wirst über alles informiert.« Windtänzer zeigte ein süffisantes Lächeln. »Du hast dich verändert. Ich habe dich immer für aufrecht und korrekt gehalten, doch nun warst du bereit, deine Seele zu verkaufen. Das imponiert mir. Aus diesem Grund habe ich mit dir gesprochen. Und jetzt sind wir am Ende. Verlass meinen Wald.«
Windtänzer drehte sich um und war kurz darauf im dichten Grün verschwunden.
Neronus wird außer sich sein , dachte Leto. Er wird sagen, dass Windtänzer mir die Rechnung noch präsentieren wird. Aber das ist mir egal. Ich muss das Volk schützen. Und ich will Maya zurück.
***
In den folgenden Tagen kam es zu immer mehr Vorfällen. Leto verschärfte die Ausgangssperre und verlegte sie auf einundzwanzig Uhr, doch das brachte kaum etwas. Die Leute drehten auch tagsüber durch.
Auch die eigenen Geheimdienstreihen bleiben nicht verschont. Manche erlitten mitten im Dienst Wahnvorstellungen, von einer Sekunde zur nächsten.
Leto wurde selbst Zeuge eines solchen Vorfalls, nachdem er zu einer Einsatzbesprechung gerufen hatte. Eine Frau begann plötzlich zu schreien und stürmte auf Leto zu, der am Rednerpult stand. Da der Raum mit Profis angefüllt war, kam sie nicht allzu weit, obwohl sie sich mit unglaublicher Kraft zur Wehr setzte. Sie beschimpfte und verfluchte den Präsidenten und wünschte ihn in die Rote Hölle. Später, nachdem die Beruhigungsmittel aufhörten zu wirken und sie wieder zu sich kam, konnte sie sich an nichts erinnern.
Von nun an durfte niemand mehr allein in den Einsatz gehen, und sie mussten Vitalscanner tragen, die einen rasanten Anstieg bestimmter Hirnströme registrierten und Alarm schlugen. Damit blieb der Geheimdienst einsatzfähig, doch die Angst war nun ein ständiger Begleiter.
Auch auf den Straßen gingen Menschen völlig unmotiviert aufeinander los und versuchten sich gegenseitig die Schädel einzuschlagen.
Leto hatte den gesamten Flugverkehr einstellen lassen. Nur noch Notdienste und er selbst durften Gleiter benutzen. Der öffentliche Flugschiffverkehr zwischen den Städten wurde ausgesetzt, nur schwere Landgefährte waren noch unterwegs, die Material und Personen beförderten.
Neronus setzte mittlerweile flächendeckend Kameras ein, teils fix montiert, teils mobil, die jede Bewegung auf den Straßen aufzeichneten. Durch eine so entstandene Aufnahme erfuhr Leto, dass Windtänzer sein Versprechen wahr machte.
Mitten in eine Schlägerei hinein trat plötzlich wie aus dem Nichts ein in eine braune Kutte gewandeter Baumsprecher, der mit ruhiger Stimme auf die Leute einredete. Er wählte gar keine besonderen Worte, es waren offenbar sein Tonfall und die Betonung und vielleicht auch ein mentaler Einfluss. Schon kurz darauf beruhigten die Menschen sich und setzten friedlich ihren Weg fort.
Letos
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