311 - Der Weg des Bösen
und gleich darauf auch Julian. Sie drückten sich unwillkürlich aneinander, als die Meute mit wildem Glanz in den Augen über sie kam.
Sie machten sich bereit, ihr Leben so teuer wie möglich zu verkaufen – da erklang eine neue, fremde Stimme. Sehr klar, sehr wohl moduliert, und sehr eindringlich.
Die Meute hielt verdutzt inne und wandte sich dem neuen Herausforderer zu.
Chandras Augen weiteten sich, als sie sah, wie jung der Mann war, der sich einmischte. Und er gehörte zum Waldvolk! Getrocknete Blätter waren in seine Haare geflochten, er trug grüne Kleidung und einen vorn geschlossenen Kapuzenumhang.
»Ihr werdet jetzt sofort aufhören und die beiden gehen lassen«, sagte der Jüngling, der gerade erst zum Mann gereift sein konnte, nachdrücklich. » Geht! «
Kurzes, verblüfftes Schweigen. Dann Gelächter, Hohn und Spott.
»Ich habe euch gewarnt«, sagte der Waldmann.
Chandra sah nur eine kurze Bewegung, dann blitzte etwas unter dem Umhang auf, und gleich darauf lagen alle am Boden und hielten sich stöhnend Köpfe, Bäuche und Beine.
»Ich hatte euch gewarnt«, sagte der Waldmann ruhig. Sein junges Erscheinungsbild passte so gar nicht zu seiner Sprechweise und dem Klang seiner Stimme. Seine Bewegungen und seine Haltung waren sehr selbstsicher und ausgeglichen.
Mit einer fließenden Bewegung klappte er den Stab wieder zusammen und ließ ihn unter dem Umhang verschwinden. Dann trat er auf Chandra und Julian zu und hielt ihnen die Hand hin.
»Ich bin Blattschwinge. Ihr seid jetzt in Sicherheit. Kommt.«
Die Angreifer bleiben zurück; niemand von ihnen wagte es, dem Waldmann zu folgen. Blattschwinge begleitete die beiden auf dem weiteren Weg, obwohl Chandra das unangenehm war. Doch mit dem Hinweis, es könnten ja weitere Gefahren lauern, ließ er sich nicht davon abbringen.
»Warum bist du hier?«, fragte Chandra unterwegs. »Ihr Waldleute habt doch alle die Städte verlassen.«
»Die Kinder des Vater Mars müssen beschützt werden«, murmelte Blattschwinge geheimnisvoll, schlug die Kapuze über und hüllte sich für den weiteren Weg in Schweigen.
Julian hatte den Arm wieder um Chandra gelegt; beide humpelten ein wenig, erholten sich allmählich wieder. Sie redeten über den Überfall.
»Das ist alles sehr merkwürdig«, meinte Julian. »Erst knallt der Typ im Restaurant durch, und dann das hier. Hast du auch gemerkt, dass die ursprünglichen Opfer plötzlich gemeinsame Sache mit den Räubern gemacht haben?«
»Ja. Es war unheimlich«, gab Chandra zu und zog die Schultern hoch. »Aber wir haben ihnen ganz gut Paroli gegeben. Ich hätte nicht gedacht, dass ein Gonzales aus der Führungsetage so gut kämpfen kann. Und dazu noch so entschlossen.«
»Klischees und Vorurteile«, grinste er. »Ich könnte dasselbe über dich sagen.«
Verlegen deutete sie vor sich. »So, wir sind...« Chandra stockte, als sie bemerkte, dass ihr Begleiter verschwunden war. »Blattschwinge?« Verdutzt sah sie sich um.
»Er ist weg«, bemerkte Julian überflüssigerweise.
Chandra lief ein Schauer über den Rücken. Es war, als hätte sich der Waldmann in Luft aufgelöst. Julian bemerkte ihr Frösteln und legte einen Arm um sie. »Alles in Ordnung?«
»Ja ...es ist nur...«, begann sie, dann fasste sie sich ein Herz. »Ich habe ein bisschen Angst, Julian ...und ich will heute nicht mehr allein bleiben.«
Der Blick, mit dem er sie ansah, ging ihr durch und durch. »Ich habe gehofft, dass du das sagen würdest«, sagte er leise.
Verwirrt, mit weichen Knien, ging sie voran, durch den Haupteingang des Turms und zum Aufzug. Dort umarmte Julian sie und küsste sie, was jegliche Zweifel, wie dieser Abend enden würde, ausräumte. Und ja, es gefiel ihr außerordentlich gut, und sie wollte es auch, vor allem nach dieser Aufregung. Alles vergessen, sich nur noch auf das eine konzentrieren.
Sie duschten zuerst und begannen dabei das Vorspiel, dann liebten sie sich, gingen wieder duschen, aßen etwas, liebten sich und schliefen schließlich eng aneinandergekuschelt ein.
Kurz vor dem Morgengrauen erwachte Chandra, setzte sich an ihren Computer und schrieb eine Nachricht an Neronus Gingkoson, in der sie den Vorfall bis ins Detail schilderte; natürlich ohne den restlichen Abend einzubeziehen.
Je mehr Stunden vergingen, desto bizarrer und unheimlicher erschien ihr das alles. Etwas war im Gange, das möglicherweise weitreichende Folgen hatte. Wenn sie eines in der Zeit mit Matthew Drax gelernt hatte, dann, dass nichts, was
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