311 - Der Weg des Bösen
Stationen des Virtuellen Cortex unterbrochen waren, sank Leto in sich zusammen. »Gibt es denn überhaupt noch eine Chance für uns, Nero?«, fragte er leise.
»Bin geneigt zu sagen: nein«, antwortete der Geheimdienstchef ehrlich und offen. »Wahrscheinlich macht es keinen großen Unterschied, ob der Streiter uns verschlingt oder einfach nur am Mars vorbeizieht. Seine vernichtende Ausstrahlung gibt uns den Rest. Alles, was wir dagegen unternehmen, zögert das Unvermeidliche nur etwas hinaus.«
Der Präsident dachte nach. »Sie vergessen, dass die Waldleute weniger betroffen sind«, sagte er dann. »Wir sollten eine Evakuierung in die Wälder erwägen. Vielleicht können sie uns schützen.«
»Schön und gut, Leto, aber wir sprechen von über zwei Millionen Menschen. Wie und wo wollen wir die unterbringen? Wie versorgen? Wie unter Kontrolle halten?«
»Das ist das Problem.« Leto war für einen Moment versucht, sich in seine Niedergeschlagenheit zu ergeben. Noch konnte er ihr die Stirn bieten. Aber wie lange?
»Gehen Sie zu Chandra in die Klinik und verhören Sie sie«, sagte er dann unvermittelt. »Ich muss endlich wissen, ob der Mord durch einen Wahnsinnsanfall motiviert wurde oder andere Gründe hat.«
Gingkoson nickte. »Ich kümmere mich darum.«
»Und schicken Sie Refor herein, ich muss mich konzentrieren können.«
***
Neronus gelang es nicht, mit Chandra zu sprechen. Die Ärztin informierte ihn, dass sie nicht vernehmbar sei; sie habe einen weiteren Anfall erlitten und musste erneut ruhiggestellt werden. Der Geheimdienstchef gab sich damit nicht zufrieden und wollte die Verdächtige sehen.
Chandra lag in dem abgeschlossenen Zimmer, einem kleinen grauen Raum, in dem es nur ein Bett gab. Sie war bewusstlos und nicht vernehmungsfähig. Neronus ließ sich den Untersuchungsbericht geben. Keine Drogen, nur geringe Spuren Alkohol, keine Fremdsubstanzen. Sie hatte Sex gehabt, vielleicht ein wenig zu lebhaft, falls die Prellungen davon herrührten. Ansonsten stammten sie wohl von einem Kampf zwischen ihr und Beron Julian.
Auch der Zustand der Wohnung deutete auf einen Kampf hin. Was eigenartig war. Beron war sehr viel größer und kräftiger gewesen als die zierliche Chandra. Ein Kampf zwischen ihnen hätte kaum so lange gedauert, um solche Schäden zu verursachen.
Also blieb also weiterhin die naheliegende Theorie bestehen, dass Chandra im Wahn gehandelt und nach dem Mord auch noch die Wohnung demoliert hatte. Es war die einfachste Erklärung, und genau das störte Neronus daran.
»Ich komme morgen um elf wieder«, sagte er zu der Medikerin. »Sorgen Sie dafür, dass Chandra Tsuyoshi dann ansprechbar ist. Sie muss verhört werden.«
»Über die Medikamentierung meiner Patienten entscheide immer noch ich«, widersetzte sie sich.
»Dann entlasse ich Sie aus der Verantwortung und suche mir einen kooperativeren Arzt.«
»Das können Sie nicht einfach...«
Neronus unterbrach sie mit leiser, scharfer Stimme. »Ich kann und ich werde , wenn Sie sich querstellen. Chandra ist morgen Vormittag vernehmungsbereit, oder ich mache ernst mit meiner Drohung. Haben wir uns verstanden?«
»Voll und ganz.« Ihre Augen glühten vor Wut.
Neronus fragte sich, ob auch sie bereits dem Wahn verfallen war und einen Risikofaktor darstellte. Aber wem konnte er überhaupt noch trauen?
Am nächsten Morgen war Neronus bereits um acht Uhr in der Klinik. Er hatte nie vorgehabt, sich an die genannte Uhrzeit zu halten; es war eine seiner Vorlieben, unangekündigt aufzutauchen, um sich von nicht geschönten Tatsachen überzeugen zu lassen.
Er stellte fest, dass erheblich weniger Personal als gestern da war, und dass die Leute unruhig und zerstreut wirkten. Dann sah er zwei Waldleute vor Chandras Zimmer. Hatte Leto sie dorthin beordert?
Er musste sich tatsächlich ausweisen, andernfalls wollten sie ihn nicht zu der Tatverdächtigen hineinlassen. »Wer hat die normalen Wachen abgezogen?«, fragte er.
»Sie fühlten sich nicht wohl, deshalb wurden wir von der Stationsärztin angefordert, um deren Posten einzunehmen«, gaben sie zur Antwort.
»Wo ist Dr. Jalyn Gonzales?«
»Das wissen wir nicht.« Und es interessiert uns auch nicht . Neronus sah es ihnen an.
»Solange ich da drin bin, betritt niemand den Raum«, befahl er, wartete keine Bestätigung ab, sondern ging hinein.
Chandra war wach – und bei Sinnen. Ihr Gesicht nahm einen flehenden Ausdruck an, als sie Neronus erkannte. »Sie dürfen denen nicht glauben, Neronus!«,
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