312 - Die dunkelste Stunde
betretenes Schweigen auf der Brücke ein. Sie hatten den ersten Teil ihrer Mission erfüllt. Und doch war es für niemanden ein Grund zur Freude.
Nur der tote Morgan Wang saß auf einer Konsole, schlenkerte mit den Beinen und starrte seinen Bruder böse an.
***
Die Atmosphäre auf der Brücke lud sich während der nächsten Stunden immer weiter auf, ohne dass Dexter einen Grund dafür nennen konnte. Es fiel ihm zunehmend schwerer, sich auf seine Aufgaben zu konzentrieren – und Morgans dauerndes Geplapper zu ignorieren.
»Das Ergebnis der Größenbestimmung liegt vor«, sagte Angelis von der Ortung.
»Ich höre«, lautete Tsuyoshis knappe Antwort.
»Das Objekt selbst können wir immer noch nicht anmessen oder optisch erfassen. Deshalb war auch eine Radarbestimmung fruchtlos. Also mussten wir indirekt vorgehen, und zwar über die Sterne, die wir hinter dem Streiter nicht sehen. Über die unterschiedlichen Blickwinkel vom Virtuellen Cortex und von der AKINA aus war es mit trigonometrischen Methoden...«
»Ich will von Ihnen keine Vorlesung über Astrophysik«, fuhr der Kommandant ihn an. Im nächsten Augenblick schien er über sich selbst zu erschrecken. »Entschuldigen Sie. Also weiter. Aber fassen Sie sich bitte kurz.«
»Auf... auf diese Art konnten wir die Größe, die Geschwindigkeit und den voraussichtlichen Kurs des Streiters bestimmen. Das Ding ist etwa halb so groß wie der Erdmond.«
Für einen Moment herrschte betretenes Schweigen. Nur Morgans Kichern durchbrach die Stille, aber außer Dexter nahm das natürlich niemand wahr.
Tsuyoshi stellte sich hinter den Sessel der Navigationsstation, legte die Hände auf den Nacken von Dace Melody und begann zu massieren. Dexter hätte sich über dieses Verhalten des Kommandanten vielleicht gewundert, wenn er nicht selbst damit beschäftigt gewesen wäre, auf seinen Bruder zu starren. Dessen Kopf hatte plötzlich zu bluten begonnen, genau dort, wo Vaters Gleiter ihn getroffen hatte.
»Melody, berechnen Sie uns einen neuen Kurs. Wann müssen wir wo sein, um eine Sonde so abzuschießen, dass sie nahe genug an den Streiter herankommt, um Daten zu liefern, um uns...« Als er bemerkte, dass ihm sein Satz entglitt, brach er ab. »Berechnen Sie den Kurs.«
Er stützte sich an der Sessellehne ab und atmete tief durch.
»Alles in Ordnung mit Ihnen, Rotley?«, fragte er plötzlich.
Die Funkerin schaute starr geradeaus auf ein blinkendes Licht ihrer Konsole. Sie war so blass, dass sich die für Marsianer typischen Pigmentflecken ungewöhnlich dunkel abhoben.
»Ravana!«, herrschte der Kommandant sie an, als sie nicht reagierte.
Nun zuckte sie zusammen und sah ihn schuldbewusst an. »Was? Ja, alles in Ordnung. Danke. Mir ist nur... ich bin... ich denke...« Dann brach sie ab und starrte weiter auf das Licht.
»Du bist schuld!«, brüllte Morgan so urplötzlich auf, dass Dexter erschrocken aufsprang.
»Was ist denn in Sie gefahren, Wang?«, verlangte Tsuyoshi zu wissen.
»Ich... ich... entschuldigen Sie mich für einen Augenblick.«
Er rannte aus dem Cockpit und hastete die Gänge bis zu seiner Kabine entlang, doch hinter jeder Biegung, um die er kam, stand schon Morgan und lachte ihm mit blutverschmiertem Gesicht entgegen.
»Lass mich in Ruhe«, jammerte Dexter.
»Du hast mich auch nicht in Ruhe gelassen. Und jetzt bin ich tot.«
...tot...
...tot...
...tot...
Wie ein Echo hallte dieses eine Wort in Dexters Schädel wider und drohte ihn von innen zu sprengen.
Endlich erreichte er seine Kabine und warf sich aufs Bett.
Was tue ich hier eigentlich? An einem Ort, an dem ich nie sein wollte!
Musste er sich andererseits nicht freuen, nicht auf dem Mars zurückgeblieben zu sein. In seiner Heimat, zu der jeder Kontakt abgebrochen war? Was mochte dort geschehen sein? Warum erzählte Tsuyoshi ihnen nichts davon? Gab es für die Besatzung der AKINA überhaupt noch eine Heimat, zu der sie zurückkehren konnten?
Tränen stiegen ihm in die Augen. Die Kabinenwände, die kärgliche Einrichtung, die Hygienezelle – alles versank in trübstem Grau.
Sein Blick fiel auf die Tasche mit seinen persönlichen Gegenständen. Seit dem Beginn ihrer Reise durch die Schwärze des Alls hatte er sie nicht ausgepackt. Ganz unten zwischen Speicherkristallen mit Holovideos verbarg sich eine weitere Pillendose mit starken Schlaftabletten. Eine Handvoll, und er wäre all seine Sorgen los.
Noch bevor er sich dessen richtig bewusst wurde, kniete er schon neben der Tasche und kramte die
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