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312 - Die dunkelste Stunde

312 - Die dunkelste Stunde

Titel: 312 - Die dunkelste Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Fröhlich
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wenn er es sich recht überlegte, beneidete er sie doch nicht. Da ertrug er doch lieber die Gesellschaft seines toten Bruders, egal, in welchem Zustand er sich ihm präsentierte. Ob als fröhlicher Junge mit leuchtenden Augen oder als Unfallopfer mit zermatschtem Kopf.
    Morgan war der Einzige, der bei ihm blieb. Jeden anderen vergraulte er früher oder später mit den Streichen, die häufig nur er spaßig fand. Vermutlich legte er es sogar darauf an, sie zu verscheuchen. Aus Angst, er könne ihnen versehentlich etwas Schlimmeres als nur Streiche zufügen. So wie seinem Bruder.
    Interessant, zu welchen Erkenntnissen man fähig ist, wenn man unter einer Überdosis Psychopharmaka steht.
    Ravanas Tod war ein Schlag für die Mannschaft gewesen, dennoch glaubte Dexter nicht, dass er für die eigenartige Stimmung der Crew verantwortlich war.
    Er ließ den Blick durch die Brücke der AKINA schweifen.
    Asgan Pourt Tsuyoshi stand wie immer im Zentrum des Raums und starrte zum Monitor, auf dem der Streiter zu sehen – oder besser: nicht zu sehen war. Doch seine Körperhaltung hatte sich verändert. Nicht mehr aufrecht wie die eines Mannes, der alles im Griff hatte, sondern in sich zusammengesackt und nervös. Schweißperlen schimmerten auf seiner bleichen Stirn. Immer wieder murmelte er: »Noch nicht jetzt. Noch nicht jetzt.« Wenn sie ihn fragten, was er damit meinte, winkte er nur ab und verordnete mehr Schmerztabletten.
    Von Leda Raya Braxtons exotischer Schönheit war kaum noch etwas zu entdecken. Seit Ravanas Selbstmord hatte sie ihr Make-up nicht mehr aufgefrischt. Der Lippenstift war verschmiert und verzerrte ihr Gesicht zu einer Grimasse. Die schwarzen Bahnen von den Augen über die Wangen machten den Eindruck nicht besser. Die abgekauten Fingernägel der Pilotin klackerten ohne Unterlass auf der Konsole.
    Dace Melody und Valdis M. Angelis bekamen sich wegen jeder Kleinigkeit in die Haare. Bisher hatten sie in einem gesunden Konkurrenzverhältnis gestanden. Die Navigatorin, die von sich behauptete, ihre AKINA atmen zu hören und jede Route berechnen zu können, zog den Mann von der Ortung gerne damit auf, dass er angeblich nicht nur das Husten eines Flohs in dreißig Lichtjahren Entfernung anmessen konnte, sondern sogar zu analysieren vermochte, warum er gehustet hatte. Aus dieser gutmütigen Frotzelei war nun offene Feindschaft geworden.
    Besonders schlimm erschien Dexter aber, dass offenbar keiner der anderen die Veränderungen wahrnahm. Jeder schien jeden zu belauern, dies aber für völlig normal zu halten.
    »Sieht so aus, als wärst du der einzig verbliebene psychisch Gesunde.« Wie tröstend mochte dieser Satz klingen, käme er nicht aus dem Mund seines toten Bruders.
    Sehr witzig.
    »Was ist witzig?«, fuhr Tsuyoshi ihn an.
    Hatte er etwa laut gesprochen? O Mann! »Nichts.«
    »Das will ich meinen! Wie sieht’s aus, Angelis? Bekommen wir endlich ein Bild von diesem Ding?«
    »Nein. Ich glaube auch nicht, dass sich das noch ändern wird.«
    »Was soll das denn heißen?«, fuhr Dace Melody den Orter an.
    »Es kommt mir fast so vor, als wollte der Streiter nicht gesehen werden.«
    »Schwachsinn!«
    »Von wegen!« Angelis warf ihr einen giftigen Blick zu. »Außerdem solltest du dich um deinen eigenen Kram kümmern und eine neue Route berechnen. Das Dunkelfeld hat schon wieder den Kurs leicht geändert.«
    »Willst du mir meinen Job erklären?«
    »Manchmal wäre es bitter nötig, aber wahrscheinlich würdest du sowieso nicht versteh-«
    »Ruhe!«, brüllte Kommandant Tsuyoshi.
    Die Münder der Kontrahenten verstummten, doch ihre Blicke fochten unentwegt weiter.
    »Wie lange können wir noch warten, bis wir die Sonde ausschleusen?«, fragte er.
    »Wenn der Streiter dieses Tempo beibehält, höchstens fünf oder sechs Stunden«, antwortete Dexter. In Wirklichkeit hatte er keinen blassen Schimmer. Die Medikamente packten sein Hirn so in Watte, dass er die nötigen Berechnungen nicht mehr durchführen konnte. Damit ihm niemand auf die Schliche kam, fügte er hinzu: »Es sei denn, wir fliegen noch näher an seine Bahn heran.«
    »Das tun wir nicht! Seine Distanz zu uns ist jetzt schon geringer als die zum Mars bei seinem Vorbeiflug. Sondenabschuss vorbereiten!«
    »Das ist ein Fehler!«, sagte Dace Melody.
    Tsuyoshis Augen verengten sich zu Schlitzen. »Passen Sie auf, was Sie sagen! Niemand darf sich erlauben, meine Befehle...«
    »Aber seht ihr es denn nicht?«
    »Was?«
    »Die ständigen Kursänderungen des

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