313 - Der verlorene Pfad
Ufermorast zurück auf festen Boden.
Rebeeka holte sie ein. »Das Eis ist zu dünn für uns beide! Nur eine sollte versuchen, Juefaan zu retten, und ich bin leichter als du. – Außerdem bist du die Königin. Dein Leben ist wichtiger als meins«, fügte sie hinzu. Sehr ernst, ganz ohne Hohn. Dann ging sie erneut aufs Eis.
Aruula hielt sie nicht auf; sie hatte begriffen. Und schämte sich wegen ihres voreiligen Verdachts in so einer Situation. Sie lief ein Stück am Ufer entlang, bis zu einer Stelle, an der das Eis noch nicht angebrochen war. Von hier aus wollte sie es ebenfalls versuchen.
Haagur keuchte heran, warf ihr ein Seil zu. Sie fing es aus der Luft und kroch damit hinaus auf den Weiher. Ein Holzbrett schlidderte an ihr vorbei.
»Gut gemacht, Haagur!«, flüsterte Aruula, während sie dem Brett folgte.
An Rebeekas Standort krachte und splitterte die zugefrorene Teichdecke. Sie hörte die Kriegerin fluchen. Aber darum konnte sie sich jetzt nicht kümmern. Sie blickte wieder nach vorn.
»Juefaan! Hörst du mich?«
»J-ja«, kam es durch klappernde Zähne zurück.
»Ich bin gleich bei dir! Halte noch ein bisschen durch! Kannst du schwimmen?« Aruula bekam die Holzplanke zu fassen und schob sie vor sich her auf die Unglücksstelle zu.
»Z-zu k-kalt!«
»Versuch es! Bitte versuch es! Streck die Arme über den Rand und bewege die Beine!« Aruula spürte keine Kälte, nur Angst um den Jungen. Unter ihr knirschte und knackte das Eis; Luftblasen gluckerten, feine Risse wuchsen nach allen Seiten. Und noch immer war sie weit von Juefaan entfernt.
Zu weit.
Sie sah, wie sein Kopf ins Wasser sank. Schon bewegten sich seine Arme. Wenn er jetzt losließ, würde er unter die Eisdecke gleiten! Unmöglich, ihn dann noch zu finden.
»Wie tief ist der verdammte Weiher?«, brüllte Aruula.
»Etwa zwei Meter!«, scholl es vom Ufer her.
Aruula nickte grimmig. »Scheiß drauf!«, presste sie hervor, stand auf und rannte los, über brechendes Eis. Wasser schäumte hoch, am Ufer schrien die Leute. Aruula rannte über die berstenden Schollen, schneller als das Eis brechen konnte. Hinter ihr blieb eine Gasse aus dunklen Wellen zurück. Sie würde zurückschwimmen müssen. Egal. Vor ihr kämpfte ein kleiner Junge ums Überleben, und nur er war wichtig.
»Ich komme, Daa’tan! Ich rette dich!«, schrie Aruula. Ihr fiel gar nicht auf, dass sie den Namen ihres Sohnes benutzt hatte. Todesmutig warf sie sich nach vorn, der Länge nach ins eisige Nass. Gurgelnd, rauschend schlug das Wasser über ihr zusammen. Aruula sank und schwamm und tastete durch die Dunkelheit. Bekam einen Arm zu fassen. Stieß sich hoch.
»Ich hab dich!«, keuchte sie, als sie mit Juefaan die Oberfläche erreichte. Tränen schossen ihr aus den Augen. »Ich hab dich, mein geliebter Junge! Und ich lass dich nie wieder los!«
Inzwischen hatten die Kriegerinnen ein Boot und Äxte herbeigeschafft. Vom Ufer aus schlugen sie eine Rinne ins Eis, ließen das Boot zu Wasser und schoben es mit Stangen so schnell es nur ging zu Aruula.
»Juefaan zuerst!«, verlangte die Barbarin, als sich ihr helfende Hände entgegenstreckten. Und so geschah es auch.
Wenig später saß Aruula in Rebeekas Hütte, dick vermummt, eine Tasse heißen Tee in den Händen. Juefaan hatten die Frauen zum Palast gebracht – dort stand das einzige beheizte Bad, und darin sollte sich der unterkühlte Junge aufwärmen.
Nachdenklich sah Aruula zu, wie die junge Kriegerin den Kamin befeuerte. »Hast du das ernst gemeint vorhin?«, fragte sie. »Ich meine, dass mein Leben wichtiger wäre als deins?«
»Natürlich.« Rebeeka nickte. »Und nachdem ich gesehen habe, wie selbstlos du gehandelt hast, weiß ich, dass ich recht hatte.« Sie zögerte einen Moment. »Aber sag: Du hast Juefaan da draußen Daa’tan genannt. Wer ist das?«
»Das ist... das war mein Sohn.« Aruula lächelte traurig. »Er fiel bei einem Sturm in einen Fluss. [2] Die Situation vorhin hat mich an damals erinnert.«
»Wie sah er aus, dein Sohn?«, fragte Rebeeka leise.
»Daa’tan? Oh, ein bisschen wie Juefaan: schwarze Haare, grüne Augen, dünn wie ein Brabeelentrieb, und...«, sie lachte, »… na ja, du weißt schon: wie kleine Jungs eben aussehen.«
»Juefaan ist wie ein Sohn für mich«, sagte Rebeeka. »Juneeda hat ihn mir anvertraut, und ich liebe ihn sehr.«
»Das ist gut.« Aruula trank einen Schluck Tee.
»Ist es nicht! Denn es bedeutet, dass ich mich von ihm trennen muss.«
»Wieso denn das?«, fragte die
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