313 - Der verlorene Pfad
war jeden Tag die gleiche Prozedur. Rebeeka öffnete die Tür, trat zur Seite, nickte knapp und sagte: »Du weißt ja, wo sie ist.«
Aruula fragte dann: »Irgendeine Veränderung?«, und Rebeeka antwortete mürrisch: »Ich wüsste nicht, was sie herbeiführen sollte.« Danach verließ sie die Hütte – ohne der Königin auch nur einen Tee anzubieten.
Aruula nahm diese Provokation schweigend hin. Sie verstand den Schmerz, der Rebeeka so verbitterte: Ihre Schwester Tumaara war nur noch ein Schatten ihrer selbst seit dem Kontaktversuch der Telepathinnen. Dass nicht sie es gewesen war, die den Zirkel angeordnet hatte, änderte zwar nichts an dem tragischen Ergebnis, aber warum die junge Kriegerin ihr die Schuld daran gab, war Aruula nicht ersichtlich.
»Tumaara?«, fragte sie, als sie das Zimmer betrat.
Die blonde Kriegerin saß auf ihrem Bett, schweigend, wie immer. Sie hielt den Blick gesenkt und wiegte sich im Takt einer Musik, die sonst niemand hörte. Hin und her. Hin und her. Man konnte sie bitten, etwas zu tun, dann tat sie es auch. Doch anschließend kehrte sie auf ihren Platz zurück, nahm exakt die gleiche Position wieder ein und wiegte sich. Hin und her.
Der Anblick tat so weh.
»Tumaara!«, sagte Aruula mitleidig, nahm Platz und legte ihren Arm um die wiegenden Schultern. »Ich weiß, dass du mich hören kannst. Du hast Schreckliches erlebt und bist davor geflohen, aber du musst zurückkommen! Freundin! Schwester! Wir brauchen dich! Ich brauche dich! Erinnere dich an Rooma. An die Arena. An deine Kämpfe! Du hast stets gesiegt, denn du bist eine starke Frau, und du wirst auch diesmal siegen. Ich bitte dich, Tumaara: Komm zurück!«
Jeden Tag sprach Aruula diese flehenden Worte – immer erfolglos. Auch heute zeigte Tumaara keine Reaktion. Man vermutete, dass sie dem Streiter zu nahe gekommen war und ihren Verstand in höchster Gefahr in eine sichere, innere Welt verbracht hatte. Niemand glaubte daran, dass sie ihn je wieder der Realität preisgeben würde. Aruula war die Einzige, die sich weigerte, Tumaara aufzugeben.
»Morgen komme ich wieder, geliebte Freundin!«, versprach sie. »Und ich werde zu Wudan beten, dass er dir Kraft schenkt. Denn weißt du – ich muss etwas Wichtiges tun, aber das kann ich nicht ohne deine Hilfe!«
Aruula wartete noch einen Moment. Hoffte auf ein Wunder, das nicht geschah. Zuletzt wandte sie sich mit leisem Seufzen ab – und stutzte. Am Türrahmen lehnte Tumaaras Schwester, die Arme verschränkt, düster dreinblickend. Wie lange stand sie dort schon? Was hatte sie gehört?
»Lass mich raten«, sagte Rebeeka. »Du willst uns verlassen.«
»Von wollen kann keine Rede sein!« Aruula ging auf sie zu. »Aber ich fürchte, es lässt sich nicht vermeiden.«
»Ach, ja?«
»Ja.« Aruula nickte. »Ich hatte euch doch gesagt, dass Grao’sil’aana unbedingt zu dieser alten Hydritenwaffe wollte, dem Flächenräumer, um seine Hilfe im Kampf gegen den Streiter anzubieten. Ich fürchte aber, dass er sich auch an Maddrax rächen wird, der sich ebenfalls am Südpol aufhält. Der Daa’mure hat schon einmal sein Wort gebrochen, als er Orlaando und mich in der Höhle verrotten ließ. Ich traue ihm nicht über den Weg.«
»Und was, denkst du, hat er vor?«, fragte Rebeeka.
»Ich weiß es nicht. Ich kann nur vermuten und hoffen, dass ihm die Vernichtung des Streiters erst einmal wichtiger ist als seine Rache. Ansonsten käme ich ohnehin zu spät. Aber wenn es tatsächlich gelingt, den Streiter zu töten, ist ab diesem Moment auch Maddrax’ Leben in höchster Gefahr. Er weiß nicht, was hier vorgefallen ist, dass Grao’sil’aana sich als mich ausgab. Der Daa’mure wird ihn täuschen – und unverhofft zuschlagen. Nur wenn ich Maddrax warne, kann er sich darauf einstellen.«
Rebeeka lachte auf. »Sag doch gleich, dass du zu Maddrax zurückkehren willst!«
Die Barbarin schüttelte den Kopf. Sie klang traurig, als sie erwiderte: »Nein, das will ich nicht! Aber darüber muss ich mich dir gegenüber nicht rechtfertigen. Maddrax ist immer noch mein Freund, und deshalb muss ich ihn warnen.«
»Schon klar«, meinte Rebeeka enttäuscht. »Du hast uns zwei Wochen lang die gute Königin vorgespielt, und jetzt haust du ab zum Südpol. Wir können dann sehen, wie wir zurechtkommen.«
»Mann, du gehst mir auf die Nerven, weißt du das?«, schnappte Aruula.
»Echt?« Rebeekas bis dahin verschränkte Arme fielen herunter. Ihre Hände landeten wie ungefähr auf den
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