313 - Der verlorene Pfad
Bitte!«, fügte er hinzu, als Rulfan abwinken wollte.
»Schön, aber mach’s kurz, ja?« Frierend trat der Albino von einem Fuß auf den anderen. Rieb die kalten Hände aneinander.
»Du und ich... als Technos altern wir langsamer als andere Menschen«, sagte Sir Leonard. »Wenn Myrials Haar ergraut und ihre schöne weiche Haut zu runzeln beginnt, wirst du noch immer aussehen wie in den besten Jahren. Sie wird lange vor dir sterben. Wie lange, schätzt du, wirst du bei ihr bleiben?«
»Bis zuletzt.« Man hörte es Rulfans Stimme an, dass er sich mühsam beherrschte. Er musste sich räuspern, um fortzufahren. »Ich weiß, dass wir verschieden sind. Das ist der Preis für unsere Beziehung, und ich bin bereit, ihn zu zahlen. Myrial gehört zu mir, und was immer die Götter uns an Zeit gewähren – wir werden sie auskosten bis zur Neige. Gemeinsam!«
Ein befreites Lächeln glitt über Sir Leonards Gesicht. »Na, also!«, sagte er zufrieden und setzte sich in Bewegung. Im Vorbeigehen klopfte er Rulfan auf die Schulter. »Vielleicht ist es dir nicht aufgefallen, aber du hast gerade ein Ehegelübde abgelegt! Freiwillig, und nur vor deinem Vater! Dann kannst du das auch vor Myrial und dem König. Jetzt lass uns reingehen, bevor ich hier noch festfriere!«
***
Auf den Dreizehn Inseln, zur gleichen Zeit
Am ersten Tag des Jahres lief in einem Hafen bei Kalskroona die Karavelle WALEENA aus. Es war früher Morgen, und mit der Flut zog ein günstiger Wind übers Land. Er fuhr in die Rahsegel, ließ sie knattern und sich blähen, dass die Mannschaft kaum damit nachkam, die Takelung festzuzurren. Doch es gelang und die Karavelle nahm im Schein der aufgehenden Sonne Fahrt auf.
»Wie lange wird es dauern, bis wir Scootland erreichen?«, fragte Juefaan jetzt schon ungeduldig. Er stand an der Leeseite des Schiffes, zwischen Groß- und Fockmast. Von dort konnte er zurückblicken zum Hafen und den Kriegerinnen Lebewohl winken.
»Ankommen? Wir sind gerade erst losgefahren!«, erinnerte ihn Aruula. Sie lachte kopfschüttelnd in sich hinein. Was war der Junge doch für ein rastloses Wesen – und wie bekannt kam ihr das vor! Juefaan hatte zwar äußerlich wenig Ähnlichkeit mit seinem Vater, glich dafür aber charakterlich Rulfan umso mehr. Der Zehnjährige war immer auf der Suche nach neuen Zielen. Und erreichte sie nie schnell genug. Wenigstens aus seiner Sicht.
»Stimmt, wir sind losgefahren. Aber wir müssen auch irgendwann ankommen, und ich wüsste gern, wann das sein wird«, sagte Juefaan.
»Na ja...« Aruula schob mit beiden Händen ihre blauschwarze Mähne zurück, die der Wind beharrlich nach vorn verwirbelte. »Ich schätze mal, dass wir zwei Tage für die Überfahrt benötigen. Dann noch mal zwei von der Küste in die Highlands; vorausgesetzt, wir finden, was wir brauchen.«
»Horsays, und vielleicht einen Führer.«
Schäumende Gischt prallte an den Rumpf der WALEENA, kam über die Reling und verpasste den beiden eine eisige Dusche.
»Meerdu! Wie ich das hasse!«, fluchte Aruula. Sie wischte die nassen Hände an ihrer Kleidung ab, um das Salzwasser loszuwerden. »Komm, Juefaan, wir gehen unter Deck! Es war gnädig von Wudan, dich nach deinem Bad im Dorfweiher vor einer Lungenentzündung zu bewahren, aber wir sollten seine Güte nicht noch einmal strapazieren. Also zieh dir trockene Kleidung an.«
»Ist gut.« Triefend lief er ein paar Schritte neben der Kriegerin her, ungewöhnlich schweigsam. Doch dann platzte er heraus: »Aruula? Bedeutet ›Meerdu‹ nicht ›Scheiße‹ in der Sprache der Wandernden Völker?«
Aruula blieb stehen, fasste ihn an den Armen und sank auf Augenhöhe zu ihm herunter. »Wenn du die Sprache der Wandernden Völker lernen willst, unterrichte ich dich gern darin«, sagte sie streng, »aber mit diesem Wort fangen wir ganz gewiss nicht an!«
Es herrschten angenehme Temperaturen unter Deck. Man hatte Aruula die Kapitänskajüte eingerichtet – schließlich war sie die Königin – und den Raum mit einem Kohleofen befeuert. Das kleine Eisenteil war fest in den Bodenplanken verankert, damit kein Unglück geschah. Die See konnte recht stürmisch werden. Und obwohl sich das Reich des Kapitäns traditionell am Heck befand, wo der Wellengang weniger hart zu spüren war als auf dem Restschiff, blieb auch hier nicht alles freiwillig stehen.
»Guck mal, Aruula! Wenn ich den Becher hier auf den Tisch stelle...«, Juefaan tat es und ließ los, »… dann rutscht er zum anderen Ende! Lustig,
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