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313 - Der verlorene Pfad

313 - Der verlorene Pfad

Titel: 313 - Der verlorene Pfad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Seidel
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was?«
    »Sehe ich aus, als würde ich lachen?«, fragte die Kriegerin, fing den heranschliddernden Becher ab, bevor er zu Boden fallen konnte, und gab ihn Juefaan zurück. »Hier! Trink deinen Kräutertee! Er schützt dich vor einer Erkältung.«
    »Er schmeckt eklig!« Der Junge zog einen Flunsch. Niedlich sah er dabei aus mit seinen langen schwarzen Haaren und den grünen Augen, die jetzt voller Empörung waren.
    Aruula verspürte eine tiefe Traurigkeit bei dem Anblick. So hätte Daa’tan auch ausgesehen, wenn sein Leben normal verlaufen wäre! Ein Zehnjähriger in seiner kleinen Welt mit seinen kleinen Problemen, die ihm selbst groß und wichtig erschienen und doch so einfach zu lösen waren – mit der Hilfe seiner Mutter.
    Meine Arme werden nie ein Kind halten, dachte Aruula resigniert. Erst habe ich meinen Sohn verloren, dann seinen Vater. Jetzt bin ich Königin, muss die Verantwortung tragen für ein ganzes Volk. Wenn ich die Krone abgebe, bin ich alt. Zu alt für ein Kind.
    Sie streckte die Arme aus und betrachtete sie bitter. Leere Hände. Das ist mein Schicksal.
    »Also, das geht nicht!«, hörte sie Juefaan sagen und schrak aus ihren Gedanken hoch. Aruula zog hastig die Hände zurück: es sah aus, als hätte sie nach dem Jungen gegriffen.
    »Ich finde dich wirklich nett«, erklärte Juefaan ernst. »Aber ich bin schon zehn und kann es nicht mehr erlauben, dass mich jemand hutscht. Das dürfte nur meine Mutter, wenn sie noch... da wäre.«
    »Hutscht?«, fragte Aruula stirnrunzelnd.
    »Du weißt schon: Was man so macht mit Babys.« Juefaan zog ein imaginäres Zwergenkind an sich, wiegte es wild hin und her und versah es mit schmatzenden Küssen.
    Die Barbarin lachte. »Glaub mir, ich wollte dich nicht hutschen , du komischer Knirps! Und jetzt ab in die Koje! Es war ein langer Tag und wir haben morgen viel zu tun, du und ich.«
    »Was denn?«, fragte Juefaan neugierig.
    »Na ja – so ein Schiff fährt nicht von allein! Da müssen Segel gesetzt werden, und man muss die Ladung überprüfen, ob sie noch festgezurrt ist und nicht verrutschen kann...«
    »Und Piraten? Sollen wir auch nach Piraten Ausschau halten?« Juefaan war Feuer und Flamme. Man sah es am Strahlen seiner Augen, die eben noch recht müde ausgesehen hatten.
    »Unbedingt!«, sagte Aruula trocken. »Und natürlich auch nach Eisbergen, nach Packeis und Seeungeheuern.« Sie stand auf, um die Tassen wegzuräumen. Schickte den widerstrebenden Jungen ins Bett. Dachte noch eine Weile darüber nach, ob es richtig gewesen war, Rebeeka zu ihrer Stellvertreterin zu machen. Aruula dankte Wudan für das Wunder, dass Tumaara plötzlich Anzeichen der Besserung zeigte, dann löschte sie das Licht und kroch selbst ins Bett.
    Wenig später war sie eingeschlafen.
    Noch ein bisschen später riss ein gellender Schrei sie wieder hoch.
    »Mann über Bord!«
    ***
    Im schottischen Hochland, 1. Januar 2528
    Der Thronsaal von Canduly Castle war voll bis auf den letzten Platz. Gedämpftes Gemurmel zog durch die Reihen der Gäste, Stiefelscharren, gelegentliches Husten. Man bemühte sich jedoch – anders als bei gewöhnlichen Versammlungen – um Ruhe. Immerhin war der König anwesend.
    Fürstlich gekleidet saß Jed Stuart auf dem Thronsessel, einem uralten geschnitzten Möbel, das schon seit der Erbauung der Burg den schottischen Hochlandfürsten als Ausdruck ihrer Macht und Würde diente. Die Zeit hatte das Eichenholz schwarz gefärbt und der Griff vieler Hände hatte ihm seinen Glanz gegeben.
    Die aktuelle Hand trommelte mit nervösen Fingern auf der Lehne herum. Alles war bereit für den großen Moment: Gäste vollzählig, Barden eingesungen, Spalierjungfern aufgestellt. Der Bräutigam stand bleich, aber gefasst vor dem Thron, Sir Leonard döste in der ersten Reihe und aus der Küche zogen verlockende Düfte durchs Haus.
    Nur die Braut fehlte.
    »Wo bleibt sie denn?«, flüsterte Jed ungeduldig. Nicht, dass er noch etwas anderes vorgehabt hätte. Aber es wäre peinlich für den König, wenn er eine Hochzeitsgesellschaft unverrichteter Dinge wieder verlassen müsste.
    Jed Stuart hatte den Tagesritt nach Canduly Castle ohne seine Frau unternommen. Nimuee war noch immer traumatisiert von dem Überfall und ihrer Entführung durch Meister Chans Exekutoren. Zudem ging das Gerücht um, dass sich die letzten Überlebenden dieser Mörderbande in den Wäldern nahe Rulfans Burg versteckten. Der Albino hatte Jed zwar jeden erdenklichen Schutz versprochen, doch eine Garantie für

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