313 - Der verlorene Pfad
nicht bemerkt, und fuhr fort: »Und erklärst du vor Wudan und allen Göttern, dass du keiner anderen Frau versprochen bist oder, hm, eine andere begehrst?«
Rulfan zögerte nur einen winzigen Moment. Aruulas Gesicht war vor seinem inneren Auge erschienen, wie sie ihn anlachte, ihm etwas zurief mit der herzlichen Offenheit, die er so an ihr liebte. Aber natürlich war sie nur eine Freundin. Eine Vertraute.
Die Matt verlassen hat und nun wieder frei wäre.
» Ja«, sagte er knapp.
»Und erklärst du vor Wudan und allen Göttern, dass du Myrial ein, ähm, treuer Gefährte sein wirst in guten wie in, hm, schlechten Tagen, sie vor allen Gefahren beschützen wirst und weder Unglück noch Krankheit noch Alter dich hindern werden, sie zu ehren und zu lieben bis zum, äh, letzten Tag?«
Rulfan drehte sich Myrial zu. Er dachte an das morgendliche Gespräch mit seinem Vater, während er die ahnungslose, schöne Frau an seiner Seite ansah, und plötzlich war kein Lachen mehr in ihm. Wenn Myrials Haar ergraut und ihre schöne weiche Haut zu runzeln beginnt, glaubte er die Stimme seines Vaters zu hören, wirst du noch immer aussehen wie in den besten Jahren. Sie wird lange vor dir sterben. Wie lange, schätzt du, wirst du bei ihr bleiben?
»Bis zum letzten Tag!«, sagte Rulfan ernst. Und besiegelte sein Versprechen mit einem Kuss.
***
»Mann über Bord!«, klangen Rufe über das Deck. Aruula hörte das Poltern schwerer Stiefel über sich. Die Schiffsglocke läutete Alarm.
»Aruula!«, hallte es durch die engen Korridore. Kriegerinnen rannten auf die Kapitänskajüte zu. Die erste, die sie erreichte, schlug energisch mit der Faust ans Holz. »Königin! Hörst du mich?«
Der nächste Schlag hätte Aruula fast getroffen, so schnell riss die Barbarin die Tür auf. Ihre Wangen waren noch gerötet vom Schlaf, doch ihr Blick war hellwach. »Was ist geschehen?«, fragte sie alarmiert. »Wer ist es?«
Die junge Kriegerin sah sie unglücklich an. Ihr Name war Maarue, sie gehörte zu Rebeekas Clan und hatte sich freiwillig für die Überfahrt nach Scootland gemeldet. Als Eskorte der Königin. »Es ist Juefaan«, sagte sie.
Aruula lachte auf. »Unsinn! Juefaan liegt in seiner Koje und schläft! Ich selbst habe ihn zu Bett gebracht.« Sie trat zurück in den Raum und streckte einladend die Hand aus. »Komm, überzeuge dich! Dort drüben ist er, hinter dem Vorhang!«
In der Kajüte, neben dem Eisenofen, gab es einen kleinen, halbhohen Stauraum. Darin hatte der Schiffszimmermann ein Bettgestell für Juefaan eingepasst und über den Eingang eine Leiste genagelt. Vernähte Bateraschwingen hingen daran herunter wie zwei Gardinenhälften.
Maarue folgte Aruulas Einladung nicht. Es war ihr sichtlich unangenehm, der Königin widersprechen zu müssen. Doch in einer solchen Situation zählte jede Sekunde!
Aruula wusste das, deshalb ging mit schnellen Schritten selbst zu Juefaans Koje, während Maarue weiter berichtete: »Er kam an Deck während der Wachablösung, als wir alle beschäftigt waren. Man hat ihn aber bemerkt und wieder unter Deck geschickt. Er ging dann auch.«
»O Wudan!«, hauchte Aruula. Sie hatte den Vorhang vor Juefaans Koje zurückgeschlagen – und blickte auf ein leeres Bett. »Sprich weiter!«, befahl sie und lief los; aus der Kajüte, den Gang entlang, die Treppe hoch. Maarue folgte ihr auf dem Fuß, hastig Bericht erstattend.
»Ich schwöre dir, wir dachten, er wäre wieder nach unten gegangen! Deshalb haben wir uns nicht weiter um ihn gekümmert. Aber dann kam Raagna, der heute Nacht den Wachdienst am Deckshaus hat, und fragte, ob wir Juefaan irgendwo gesehen hätten. Er hätte das Unterdeck verlassen, sei aber noch nicht zurückgekehrt.«
»Warum hat er ihn überhaupt rausgelassen?«
»Zu dieser Zeit war die See noch ruhiger«, antwortete Maarue. »Als dann die ersten Brecher kamen, begann er sich Sorgen zu machen.«
Männer!, dachte Aruula. Etwas mehr Voraussicht hätte das Schlimmste verhindert – aber die Kerle dachten ja nur so weit, wie ihre Nase reichte.
Sie stieß die Tür nach draußen auf und prallte zurück, als ihr ein eisiger Wind ins Gesicht schlug. Verbissen kämpfte sie sich nach draußen, hielt sich dabei am Türrahmen fest, um nicht fortzuschliddern.
Wie ein Schaukelpferd pflügte die WALEENA durch raue See. Ihr Bug sank tief hinunter, hob sich dann wieder hoch über die Wellen. Dabei schaufelte er jedes Mal schäumendes Salzwasser an Bord, das längs über Deck rauschte.
Maarue griff
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