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316 - Die Pest in Venedig

316 - Die Pest in Venedig

Titel: 316 - Die Pest in Venedig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Stern
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Klobigkeit und gewannen an Eleganz. Statt drei Bogenfenstern zierten das oberste Stockwerk auf derselben Länge stolze fünf.
    Da Bellini reichte Xij galant den Arm. Er führte sie in eine schmale Gasse, an der Seitenfassade seines Casa entlang. Doch statt sich seinem Haus zuzuwenden, dirigierte er sie davon fort. »Entschuldige, Signorina Hamlet, aber ehe du mein Haus betrittst, muss ich sicher sein, dass du nicht von einem der Seuchenschiffe kommst.«
    Xij hatte sich am liebsten aus seinem Griff losgerissen und wäre davongerannt. Seine ganze Freundlichkeit kam ihr geheuchelt vor. Sie roch seinen herben Parfüm-Duft, der vermutlich frisch wirken sollte, Xij jedoch erdrückte. Einen Moment erwog sie, das Weite zu suchen. Doch seine sechs Wachen waren immer noch bei ihnen.
    Der Savi brachte sie in ein unscheinbares Haus neben seinem eigenen. Eine Bedienstete kam ihnen entgegen, begrüßte da Bellini respektvoll und folgte rasch seinen Anweisungen. Xij versteifte sich, als der Savi mit ihr in einen karg eingerichteten Raum trat, in dem auf einem Podest eine Liege stand. Sie erinnerte sich dunkel an die Lehre des Miasma, des üblen Dunstes. Ärzte hatten deshalb erhöhte Untersuchungsplätze und rieten dazu, Patienten mit schweren Krankheiten oben zu lagern, wo sich weniger Schlechtes ansammelte.
    Ein kleiner, leicht untersetzter Mann mit silbernen Haaren und freundlichem Gesicht trat ein. Er zog die Stirn in Falten, als er Xijs merkwürdige Kleidung sah. »Buongiorno, verehrter Savi, wenn bringt Ihr denn da mit? Eine Ausländerin?«
    »Ja, eine Ausländerin, in der Tat.« Angelo da Bellinis Gesicht zeigte eine für die Situation ungewöhnliche Anspannung. Seine Worte klangen, als wüsste er, dass Xij aus einer anderen Zeit kam. Aber das konnte er nicht wissen. Vielleicht hielt er sie für eine Betrügerin, die nur behauptete, mit der Familie Totti verwandt zu sein.
    Xij schluckte. Von ihr würde gleich erwartet werden, sich auszuziehen, und das vor zwei fremden Männern. Ob da Bellini wirklich fürchtete, sie habe die Pest? In der Gondel und auf dem Weg hatte er sich auf eine Weise an sie gedrückt, als gebe es keinerlei Bedenken über ihre Gesundheit. Dieser Drecksack will mich einfach nur nackt sehen.
    Der Arzt legte den Kopf schief. »Ein hübsches Kind. Ist sie mit Euch verwandt, Savi?«
    »Dottore, du weißt, ich mag dein Geschwätz nicht. Untersuch sie, ohne weitere Fragen zu stellen. Ich habe noch einen Termin beim Dogen.«
    »Also dann.« Der Dottore lächelte nervös, auf die faltige Stirn traten kleine Schweißtröpfchen. Er bedeutete Xij, auf das Podest zu steigen. »Zieht Euch bitte aus.«
    Xij überlegte, erst dem Savi, dann dem Dottore in die Eier zu treten und abzuhauen. Aber wenn der Savi tatsächlich diesen Termin beim Dogen hatte, war es einfacher zu fliehen, wenn er unterwegs war. Zum Dogen in den Palast konnte er sie auf keinen Fall mitnehmen, das wäre mehr als unsittlich.
    Langsam legte sie ihre Kleidung ab. Dabei fühlte sie sich weniger beschämt als wütend. Beide Männer gafften, als hätten sie noch nie Brüste gesehen. Zum Glück trug sie wenigstens noch ihre Leinenunterhose, die ihre Schenkel zum Teil bedeckte.
    »Schön, schön«, sagte der Dottore gespielt fröhlich. »Steigt auf das Podest und hebt die Arme.«
    Xij tat wie geheißen und ließ die Prozedur unter dem stechenden Blick des Savi über sich ergehen. Der Arzt knetete und kniff in ihr Fleisch, auf der Suche nach Schwellungen und Verfärbungen, die es zum Glück nicht gab. Endlich endete die Demütigung. Xij wollte wieder nach ihrer Kleidung greifen, doch der Savi schüttelte den Kopf. Er konzentrierte sich ganz auf den Dottore, als wäre Xij nicht im Raum. »Verbrenn ihre Kleidung und gib mir ein großes Tuch. Bis in mein Casa wird sie schon nicht erfrieren.«
    »Natürlich«, eiferte sich der Dottore. »Wie Ihr –«
    »Nein!«, wagte Xij zu widersprechen. »Ich bin nicht krank, meine Sachen sind also nicht verseucht.« Sie sah, dass der Savi zu einer wütenden Antwort ansetzte, und fügte rasch hinzu: »Ich sehe aber ein, dass meine Kleidung unschicklich ist. Ich werde mich also in das Tuch hüllen, bis Ihr mir neue gebt, doch meine Sachen nehme ich als Bündel mit.«
    Da Bellini klappte den Mund wieder zu; die Aussicht auf eine nur notdürftig verhüllte Xij schien ihm zu genügen.
    Xij bekam eine Decke aus leichtem Stoff in die Hände gedrückt. Hastig wickelte sie sich darin ein, raffte dann ihre Sachen zusammen und

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