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316 - Die Pest in Venedig

316 - Die Pest in Venedig

Titel: 316 - Die Pest in Venedig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Stern
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sie war eine Gefangene und der Wachmann würde dafür sorgen, dass sie im Haus blieb. Aber damit würde sie sich nicht abfinden. Sie war schon aus ganz anderen Situationen entkommen.
    Xij startete einen Rundgang und sah aus allen Fenstern. Die beiden Eingänge des Hauses wurden gut überwacht, ebenso wie die Fenster. Insgesamt machte sie zehn Männer aus. Der Savi überließ nichts dem Zufall. Einzig an der dem Arzthaus abgewandten Seite gab es kaum Wachen. Leider waren die unteren Fenster allesamt vergittert.
    Xij ging die Räume ab, zwischen prachtvollen Vasen, Glaskelchen und Möbeln entlang, ohne sie richtig wahrzunehmen. Dreimal lief sie durch die Zimmer, die auf der unbewachten Hausseite lagen. Sie spielte mit dem Gedanken, aus einem der oberen Fenster zu klettern, hatte aber noch kein Seil oder langes Tuch entdeckt. Die dünne Decke in ihren Händen würde das Gewicht vermutlich nicht halten, aber vielleicht sollte sie es trotzdem probieren.
    Xij wollte sich auf den Weg nach oben machen, als ihr etwas auffiel. Sie blieb stehen. Warum gab es eigentlich in diesem Teil des Erdgeschosses auf einer Länge von fast vier Metern keine Fenster? Xij hatte zuerst angenommen, es gäbe dort von außen eine Arkade. Doch sie erinnerte sich, bei der Ankunft in die Seitenstraße geblickt und dort durchgehend Fenster gesehen zu haben.
    Aufmerksam geworden, wandte sie sich der Wand mit der gelben Stofftapete zu und klopfte sie ab. Es musste dahinter einen geheimen Raum geben. Vielleicht verfügte er über einen weiteren Ausgang.
    Xijs Neugierde war geweckt. Sie betastete die Tapete, bis sie eine Vertiefung fand, in die sie drücken konnte. Es klickte leise. Eine in das Muster des Stoffs integrierte Tür schwang auf.
    Xij lauschte zum Eingang hin, ob Giovanna vielleicht zurückkam, doch alles blieb still. Vorsichtig betrat sie den kleinen Raum mit den zugehängten Fenstern. Ihre Augen weiteten sich, sie griff sich an die Brust. Die Decke in ihren Armen fiel zu Boden, Äpfel kullerten hervor und rollten davon.
    Was zur Hölle hatte Angelo da Bellini getan?
    ***
    Grao’sil’aana stapfte durch den dichter werdenden Nebel, der abends von den Kanälen in die Gassen und auf die Plätze zog. Noch immer beschäftigte ihn, ob Mefju’drex, der ehemalige Primärfeind der Daa’muren, gelogen hatte. Ob es tatsächlich nur gemeinsam möglich war, durch die Zeitblase zurückzugehen. Der Primärrassenvertreter war doch einzig daran interessiert, Xij Hamlet zu retten, und diesem Ziel ordnete er alles andere unter.
    Neben Grao’sil’aana öffnete sich der Markusplatz. Er musste nicht weit gehen, um die ungefähre Höhe zu erreichen, an der sie zusammen aus der Zeitblase über der Lagune herausgekommen waren. Nachdenklich blickte er über den Platz hinweg. Irgendwo krakelte ein Primärrassenvertreter in einer viel zu lauten, viel zu schnellen Sprache. Einige Gaukler jonglierten mit Keulen. Er sah mehrere Feuer brennen. Was hatte Mefju’drex noch gesagt? Durch den Rauch eines Feuers ließ sich die Zeitblase ausmachen?
    Wenn er es richtig abschätzte, waren sie in einer Höhe von etwa vier Metern aus dem Portal aufgetaucht. Er brauchte also eine Fackel und ein Schiff, dessen Mast hoch genug war, damit er die Stelle erreichte. Sein suchender Blick glitt über die Menge. Wo würde er wohl am ehesten Fackeln herbekommen?
    Als er die Richtung zum Canal Grande einschlug und sich den beiden Säulen näherte, die davor aufragten, bemerkte er plötzlich einen Schatten, der sich von einer der Monolithsäulen schwang. Kein Taubenschwarm in der Dunkelheit, sondern ein großer Körper, der hinauf flog zum Nachthimmel und damit verschmolz. Gleichzeitig spürte Grao’sil’aana eine plötzliche Wärme in dem Kristallsplitter unter seiner Stirnhaut.
    Er senkte verwundert den Kopf und zog den Splitter hervor, den er in einer Hautfalte eingeschlossen hatte. Der Kristall reagierte normalerweise auf die Lesh’iye, die fliegenden Todesrochen, die ihm und seinem Volk gedient hatten. Mit ihm hatte er Thgáan befohlen – nein, gebeten , den Streiter zum Mond zu locken, damit Mefju’drex einen sicheren Schuss auf ihn abgeben konnte.
    Hatte er sich die kurze Erwärmung nur eingebildet? Es kostete ihn wertvolle Sekunden, das abzuschätzen. Dann rannte er los, an einem erschrockenen Liebespaar vorbei, das sich hastig bekreuzigte, als er die Monolithsäulen passierte, und folgte dem kaum auszumachenden Schatten hoch in der Luft. Dabei presste er sich den grünen

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