316 - Die Pest in Venedig
in eine eigene, einfach eingerichtete Wohnsphäre zurückziehen, die in einer kleineren Oberkugel nur wenige Schwimmlängen vom Hydrosseum entfernt lag. Durch die einseitig durchsichtige Bionetik-Scheibe beobachtete er die zahlreichen Fischschwärme zwischen den Gebäuden.
Dann drehte er sich zu Quart’ol um, der seit dem Einzug mit grimmigem Gesicht geschwiegen hatte. »Ich weiß, dass du Bel’ar vermisst, aber es wird langsam Zeit, nach vorn zu sehen.«
Quart’ols Gesicht wirkte noch feindlicher. Sein Scheitelkamm spreizte sich. »Was willst du damit andeuten?«
»Dass wir Pan’dorah und Sam’esh begleiten sollten. Wir könnten ihnen tatsächlich als Forschungsassistenten dienen und etwas Sinnvolles in dieser Zeit tun.«
Quart’ol schwamm näher und nahm eine drohende Haltung an. »Bist du von allen Göttern Rotgrunds verlassen? Wir haben einen Auftrag! Wir haben den Flächenräumer verlassen, um unseren Freunden zu helfen! Deshalb müssen wir zum Flächenräumer! Nur das ist unsere Mission!«
Gilam’esh atmete gurgelnd ein. »Um was zu tun?«, fragte er so ruhig er es konnte. Quart’ol war sein Leid nur allzu deutlich anzusehen, und er hätte ihm gern geholfen. Aber es war genug Zeit seit ihrer Ankunft vergangen. Er musste dem Jüngeren die Sicht klären. »Der Komet ist noch nicht einmal eingeschlagen, das Magnetfeld der Erde hat sich nicht verschoben. Wir können gern irgendwann zum Flächenräumer reisen und nachsehen, wie die Lage dort ist, aber das eilt nicht. Wenn wir unseren Freunden wirklich helfen möchten, brauchen wir einen sehr langen Atem, wie es unter den Menschen heißt.«
Quart’ol starrte ihn feindselig an. »Dann willst du nichts tun?«
»Wir können es im Moment nicht besser machen, Quart’ol, höchstens schlechter. Wir sind Fremdkörper in dieser Zeit. Ich halte es für ratsam, wenn wir uns unauffällig verhalten.«
»Na großartig. Dir scheint es nicht viel auszumachen, in dieses Desaster geraten zu sein, oder? Bist du wie der muntere Steintrieb auf dem Geschichtstrip deines Lebens?«
Gilam’esh spannte seine Schwimmdornen an. Die Worte Quart’ols schmerzten, als würde ihm der Freund ein Muschelmesser in den Bauch rammen. »Du wirst ungerecht. Ich wäre auch lieber in meiner Zeit. Ich vermisse E’fah. Ich sage nur, dass...«
»E’fah«, klackte Quart’ol. »Die kannst du ja bald schon wiedersehen, nicht? Bis zu ihrer Geburt ist es nicht mehr lange hin. Vielleicht willst du sie sogar davon abhalten, deine Lehren zu verraten und in Ägypten zur Volksmörderin zu werden.«
»Ich werde nichts dergleichen tun!« Langsam verlor Gilam’esh die Geduld. »Die Vergangenheit zu verändern ist kein Spiel! E’fahs Weg wird von mir nicht beeinflusst. Ich werde mich unauffällig verhalten und...«
»Spar dir deine Lügen! E’fah ist der Grund, warum es dir nichts ausmacht, untätig zu sein. Ich aber werde etwas unternehmen!«
Gilam’esh hob beide Hände. »Was denn? Es gibt nichts, was wir tun können! Entweder hat Matt die Welt bereits gerettet, oder sie ist verloren. Die Zeitblase, durch die wir gingen, ist vermutlich mit dem Auslösen des Schusses zusammengebrochen. Wir können nicht zurück. Aber wir können uns eine neue Existenz aufbauen.«
»Eine neue Existenz, ja? Du willst mit Pan’dorah und Sam’esh reisen? Dann nur los! Ich komme auch ohne dich zurecht!« Quart’ol fuhr im Wasser herum und schwamm zur Raumöffnung.
»Quart’ol! Wo willst du denn hin?«
In Durchgang drehte sich Quart’ol noch einmal um. »Weg von dir und deinen Lügen.« Er kraulte davon.
Gilam’esh schwamm ihm eine Länge nach, dann verhielt er. Quart’ol musste seine eigene Entscheidung treffen. So viel Freiheit hatte er ihm zuzugestehen. Wenn er nicht mit ihm kommen wollte, konnte er ihn nicht zwingen. Auch wenn es ihn schmerzte.
***
Venedig, am Nachmittag
Die Gondel glitt nahezu lautlos durch das Wasser, hinein in einen Kanal, der von prachtvollen Häusern flankiert wurde. Sie wirkten wie Miniaturpaläste, wenn sie auch an die beiden großen Paläste Venedigs nicht heranreichten.
Der Gondoliere legte an einem roséfarbenen Haus an, das die anderen Gebäude an Prunk bei Weitem übertraf. Es erinnerte Xij an den Fondaco dei Turchi gegenüber der Kirche San Marcuola. Zwei dreigeschossige Türme rahmten zwei Stockwerke ein, die im unteren Bereich acht Bögen mit schneeweißen Säulen aufwiesen. Nach oben hin wurden die Bögen filigraner. Gerade die Türme verloren dadurch an
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