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317 - Die letzten Stunden von Sodom

317 - Die letzten Stunden von Sodom

Titel: 317 - Die letzten Stunden von Sodom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald M. Hahn
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kam, machte man ihm eilfertig Platz. »Geht niemand mit?« Er schaute sich kurz um. Die meisten Bürger blickten zu Boden, als gäbe es dort Interessantes zu sehen.
    Enoch grunzte verächtlich. Obwohl auch er Furcht verspürte, atmete er tief ein, packte seine Waffe fester und trat über die Schwelle. Da es inzwischen hell genug war, um das Innere der Werkstatt auszuleuchten, sah Enoch bald, dass hier niemandem mehr eine Gefahr drohte. Er kam an aufgebockten Särgen in unterschiedliche Stadien der Fertigstellung vorbei. Der einzige, der einen ungewöhnlichen Eindruck machte, war der, in dem vermutlich Nemor gelegen hatte: Die Kiste war von den Böcken gekippt, auf denen sie geruht hatte. Nun lag sie am Boden.
    Um sicherzugehen, dass nicht noch andere Tote zu wandeln beschlossen, hob Enoch alle Sargdeckel an. Die Kisten waren leer. Enoch atmete auf.
    Auf dem Weg zur Tür fielen ihm Löcher in den Bodendielen auf. Sie erweckten den Eindruck, dass sie erst in der letzten Nacht ins Holz genagt worden waren.
    Enoch hielt inne, zählte die Löcher – es waren siebzehn – und schaute sie sich genau an.
    Dann machte er sich unverzüglich zum Palast auf, um seinen Vorgesetzten zu informieren.
    ***
    In Melchiors Schlafgemach war Xij noch ganz sicher gewesen, dass sie die Tür mit den gekreuzten Säbeln leicht wiederfinden würde. Nachdem sie sich nun aber eine halbe Stunde in den allmählich heller werdenden Palastgängen herumgetrieben und mindestens zehn Gardisten ausgewichen war, zweifelte sie allmählich an ihrem Orientierungssinn.
    Sie trat in eine Art Salon. Er war mit dicken bunten Teppichen ausgelegt und voller pompöser Sitzgruppen, die um Marmor- und Onyxtische herum standen. In dem gut zweihundert Quadratmeter großen Raum roch es nach Räucherstäbchen, Wein und den süßesten Parfüms aller Zeiten. Dutzende von leeren und halb leeren Krügen und Bechern sowie zerrissene morgenländische Dessous und Schleier lagen überall herum.
    Xij begriff schnell: Sie war auf den Salon gestoßen, in dem die redselige Schnapsdrossel Orphea den Abend verbracht hatte.
    Xij wollte gerade ihren Weg fortsetzen, als durch eine der vielen abzweigenden Türen ein Aufräumkommando kam. Sie machte sich klein und huschte hinter etwas, das man in einigen Jahrtausenden Paravent nennen würde.
    Dort stieß sie auf eine weitere Tür, die in einen weiteren Korridor führte. In diesem Gang tat sich ein Dutzend Türen vor ihr auf. Die meisten führten, da nur Vorhänge sie verhüllten, in diskrete Räume, in die sich Gäste zurückziehen konnten, die zu einer Festlichkeit eingeladen waren. In einigen dieser luftigen Zimmer fand sie abgelegte Kleidung und Waffen, wie sie ein Edelmann in biblischen Zeiten vielleicht verwendete, um Diebe oder Attentäter abzuwehren. Die Frage, wo deren Besitzer waren, wurde ihr beantwortet, als sie die letzte Tür öffnete und gerade noch verhindern konnte, dass sie in ein blau gefliestes, überdachtes Schwimmbecken stürzte.
    Zwei Dutzend Damen zwischen sechzehn und zwanzig – alle von makellosem Äußeren – quietschten auf und musterten den vermeintlichen jungen Mann mit dem flachsblonden Haarschopf.
    Xij hätte eigentlich damit gerechnet, dass die Hofdamen um Hilfe rufen würden, wenn ein Fremder so unvermittelt ihr Bad betrat. Doch weit gefehlt!
    Als die Nackten sie wohlgefällig musterten und kichernd die Hände nach ihr ausstreckten, fiel Xij ein, dass die hiesigen Moralvorstellungen aus einer gänzlich anderen Zeit stammten. Sodom hatte zwei- oder dreitausend Jahre vor Christus existiert; in einer Epoche, über die die Geschichtsbücher kaum etwas wussten. Hier war noch niemand auf die Idee gekommen, eine einzelne Gottheit anzubeten, die ein Leben in Keuschheit bis zur Ehe predigte.
    Xij war urplötzlich von kichernden Frauen umringt, die ihr Haar zerzausten, an ihrem Umhang zerrten und ihr Dinge ins Ohr flüsterten, die ihr klar machten, für wen die Damen sie hielten: für den Lustknaben des Hauptmanns. Eine griff Xij sogar in den Schritt, doch ehe sie zu Erkenntnissen gelangte, die ihr etwas über die Identität des »Jungen« hätten verraten können, riss Xij sich los und floh. Dass sie dabei auf den nassen Fliesen ausrutschte, hatte sie ebenso wenig erwartet wie die anschließende Rutschpartie, die erst vor einem Durchgang endete, in dem vier stämmige, behaarte Beine den Weg versperrten.
    Auf dem Bauch liegend, sah Xij zu zwei Gardisten auf, die wohl zur Bewachung der Hofdamen abgestellt und

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