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32 - Der Blaurote Methusalem

32 - Der Blaurote Methusalem

Titel: 32 - Der Blaurote Methusalem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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tsching!“
    Sie hatte kein Wort außer dem letzten dreimaligen Tsching verstanden. Sie erriet, daß er sie begrüßte und ihr irgend etwas Angenehmes gesagt hatte. Darum lächelte sie ihn dankbar an und gab ihm durch ein freundliches Nicken zu erkennen, daß sie mit seiner Aufführung nicht unzufrieden sei. Er trat wieder zurück und flüsterte dem Dicken zu: „Eine feine Frau, bei meiner Seele! Spricht ein außerordentlich regelrechtes Chinesisch! Hat jedes Wort verstanden! Allen Respekt!“
    Jetzt wandte sie sich an den Methusalem.
    „Sie sind der Retter meines Herrn“, sagte sie zu ihm. „Ohne Sie lebte er nicht mehr und ich würde dann vor Leid gestorben sein. Ich danke Ihnen.“
    Sie schob aus dem Ärmel ein kleines, bleiches Kinderhändchen hervor, um es ihm zu geben. Degenfeld ergriff erst ihren seidenen Ärmel und mit demselben ihre Hand, damit dieselbe nicht direkt von der seinigen berührt werde, zog dann das mit der Seide bedeckte Händchen an seine Lippen und antwortete: „Tsui-schin put tui!“
    Diese vier Silben schließen alles ein, wodurch ein Chinese seine Demut auszudrücken vermag. Wörtlich lauten sie: „Ich Sünder darf nicht antworten.“
    Daß er ihre Hand nicht berührte, war ein Beweis großer Hochachtung und Ehrerbietung, den sie dadurch belohnte, daß sie auch den andern das Händchen bot. Sie folgten dem Beispiel des Methusalem und bemühten sich, einen gleich eleganten Handkuß fertigzubringen, was dem Mijnheer nicht allzugut gelang, da beide so dick waren, daß sie sich nur gerade so mit den Händen erreichen konnten.
    Während der Mandarin seine Gemahlin dann höflich nach ihrem Zimmer begleitete, rief der Dicke: „Goede god, was dat een vrouw! Moet die ontzettend veel gegeten hebben – Guter Gott, war das eine Frau! Muß die entsetzlich viel gegessen haben!“
    Damit hatte er sein scharfsinnigstes Urteil abgegeben. Der Gottfried wollte eine verbessernde Bemerkung machen, wurde aber unterbrochen. Es ließ sich draußen ein ganz eigenartiger, sich nähernder Lärm vernehmen. Man hörte die schmetternden und doch dumpfen Töne mehrerer Gongs, welche entsetzlich disharmonierten, und dazwischen rufende oder schreiende Männerstimmen.
    Der Mandarin kam zurück und sagte: „Hören Sie es? Es muß ein großes Unglück oder ein großes Verbrechen geschehen sein. Die Wacher verkünden es. Lassen Sie hören!“
    Er öffnete ein Fenster. Der Lärm war jetzt vor dem Haus. Die Gongs schrillten in die Ohren, und eine heisere Stimme machte etwas, was selbst der Methusalem nicht verstand, in halb singendem und halb heulendem Ton bekannt.
    „Welch ein Verbrechen!“ rief der Mandarin, welcher diese Art des Ausschreiens gewohnt war und die Worte also verstanden hatte. „So etwas ist in Kuang-tscheu-fu noch nie geschehen!“
    „Was ist's?“ fragte Degenfeld, welcher aber wohl wußte, um was es sich handelte.
    „Aus dem Pek-thain-tschu-fan sind zwei Götter geraubt worden.“
    „Heute?“
    „Vor kurzer Zeit. Beim Beginn des Siü-tschi sind sie noch dagewesen. Jetzt aber vermißt man sie. Zwei Menschen, welche eine Sänfte draußen stehen hatten, sind als Täter verdächtig. Der Ausrufer beschreibt sie.“
    Die Gefährten warfen ihre forschenden Blicke schnell auf den Methusalem. Sie ahnten, daß es sich um die beiden Männer handle, welche er belauscht hatte. Er tat, als ob er ihre Blicke nicht bemerke, und sagte: „Götter rauben! Das sollte man nicht für möglich halten! Kann so etwas wirklich geschehen?“
    „Es ist geschehen, folglich kann es geschehen“, antwortete der Tong-tschi. „Hoffentlich entdeckt man die Tempelschänder und dann wehe Ihnen! Man wird alle Gassen, Straßen und Plätze mit Polizei und Militär besetzen, so daß keine Ratte hindurch kann. Wenn die Täter sich nicht bereits aus der Stadt geflüchtet haben, so sind sie verloren.“
    „Aber zu welchem Zweck könnten Menschen sich an Göttern vergreifen?“
    „Das wissen Sie nicht? Das ahnen Sie auch nicht?“
    „Nein.“
    „Um Glück zu haben, um reich zu werden. Wer so einen Gott ins Haus zu bringen vermag, dem muß derselbe natürlich dienen. Aber sie sind nicht für einen, sondern für alle da. Darum werden sie in den Tempeln aufgestellt, damit ein jeder zu ihnen kann, um ihnen seine Bitten vorzutragen. Wer aber – was gibt es?“
    Diese letztere barsche Frage galt einem Diener, welcher eingetreten war.
    „Hohe Exzellenz“, antwortete dieser, „der ganz unwürdige Juwelier Wing-kan bittet in tiefster

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