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32 - Der Blaurote Methusalem

32 - Der Blaurote Methusalem

Titel: 32 - Der Blaurote Methusalem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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hatten ohne alle Ausnahme höchst gutmütige Züge; die meisten lachten sogar, viele davon in einer Weise, daß die dicken Mäuler weit aufgerissen und die schiefen Augen ganz verzerrt waren und man hätte erwarten können, die heitere Gesellschaft im nächsten Augenblick in einen allgemeinen Lachkrampf verfallen zu sehen.
    Nur eine einzige Figur machte ein sehr ernsthaftes Gesicht; auch war sie durch verschiedene Tracht vor den andern ausgezeichnet. Auf die Frage des Methusalem, wen diese Figur vorstelle, antwortete der Bonze: „Das ist der größte und berühmteste, auch der mächtigste und heiligste Gott dieses Tempels. Er wird Ma-ra-ca-pa-la genannt, aber außerdem noch unter vielen andern Ehrennamen angebetet.“
    Das war also das Bild des berühmten Venetiers und mittelalterlichen Reisenden Marco Polo, durch welchen die übrige Welt so wichtige und ausführliche Kunde über China und Ostasien überhaupt bekam und dessen Namen sich, wenn auch in chinesischer Verzerrung, bis zum heutigen Tag dort erhalten hat. Es ist ihm die Ehre geschehen, unter die Götter versetzt zu werden und sogar unter ihnen einen hohen Rang einzunehmen.
    Die kleine Gesellschaft hatte sich erst sehr ernsthaft in der Halle umgeschaut. Bei näherer Betrachtung der lachenden Götter verloren die Gesichter mehr und mehr ihren Ernst. Die Züge des Gottfried von Bouillon begannen ins Heitere hinüberzuspielen; der Mijnheer biß sich in die Lippen; Turnerstick kratzte sich bedenklich neben seinem falschen Zopf; er vermochte es fast nicht mehr, seine Heiterkeit zurückzuhalten, und wußte doch nicht, ob hier an dieser heiligen Stätte das Lachen erlaubt sei. Der Bonze sah das und wurde angesteckt. Er kniff die Äuglein halb zu und zog den Mund breiter, indem er auf einen Gott deutete, welcher der lustigste von allen zu sein schien, denn er lachte, wenn auch unhörbar, so daß man glauben konnte, die Tränen aus seinen Augen rinnen zu sehen. Das brachte die befürchtete Wirkung hervor: Gottfried platzte los und rief aus vollem Hals lachend: „Nichts für unjut, meine Herren Jötter, aberst ich kann mich nicht helfen; ich fühle mir in Ihre jeehrte Jesellschaft so kannibalisch wohl, daß ich unmöglich weinen kann. Sie sind die prächtigsten Jeburtstagsonkels, die mich jemals vorgekommen sind. Tsching, tsching, tsching!“
    Der Mijnheer stimmte in das Gelächter ein; Turnerstick folgte nach; Methusalem und Richard akkompagnierten; Liang-ssi lachte herzlich, und als die heiteren Besucher nach dem Bonzen blickten, um zu sehen, wie er sich zu ihrer so wenig ehrerbietigen Lustigkeit verhalte, sahen und hörten sie, daß er sich aus vollem Herzen ganz derselben Sünde befleißigte – er lachte nicht weniger als sie.
    Rings um die Doppelhalle zogen sich die Wohnungen der Bonzen. Der Führer geleitete die Fremden in einige derselben, um ihnen zu zeigen, wie die Hüter der fünfhundert Geister sich eingerichtet hatten. Überall wurden ihnen Räucherstäbchen und beschriebene bunte Zettel, auf denen Gebete standen, angeboten, denn die Bonzen handeln mit derlei Gegenständen. Der Methusalem verteilte eine Handvoll Li unter diese Leute, gab dem Führer ein Kom-tscha und wurde infolgedessen von der ganzen Schar unter einem vielstimmigen ‚Tsching tsching tsching‘ bis vor den Tempel geleitet, wo die noch immer sehr heiteren Besucher in ihre Sänften stiegen.
    Von da aus ging es durch mehrere Gassen, in einen finsteren, tunnelartigen Bau, dann eine Stufenreihe hinan, und nun befanden sich die Reisenden auf der Mauer, welche die Stadt umzieht. An alten, verrosteten Kanonen vorüber ging es nach der roten Pagode, einem wegen seiner Aussicht viel besuchten Riesenbau. Sie ist vierseitig und hat fünf Stockwerke mit weit vorspringenden Simsen, aber keine schlanke, wohlgefällige, sondern eine gedrungene, schwerfällige Gestalt. Die Simse und Schnörkel sind keineswegs nach der Art, wie man sich bei uns eine Pagode vorzustellen pflegt, mit Glocken und Glöckchen behängt.
    Die Gesellschaft stieg auf hölzernen Treppen zum obern Stockwerk empor und genoß dort einen Ausblick, welcher weit über das Weichbild der Stadt hinausreichte.
    Im Süden dehnte sich das gewaltige Häusermeer der Stadt aus. Auf den Dächern der Gebäude sah man gefüllte Wasserkrüge stehen, ein von der Behörde gebotenes Mittel gegen Feuergefahr. Darüber ragten Pagoden und die Dächer zahlreicher Tempel, auch hohe Holzgerüste, welche als Warten und Ausluge dienen.
    Im Osten stiegen die

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