32 - Der Blaurote Methusalem
leer. In der Nähe derselben sahen sie den Tong-tschi stehen, welcher, als er sie erblickte, ihnen rasch und erfreut entgegenkam.
„Sie sind da!“ sagte er, sie begrüßend. „Haben Sie eine Tour durch die Stadt gemacht?“
„Durch einen Teil derselben“, antwortete der Methusalem. „Dieser Tempel soll vor Tisch der letzte Ort sein, den wir besuchen.“
„Das ist recht. Aber leider kann ich Sie nicht begleiten, da ich noch in der Götterangelegenheit beschäftigt bin. Man wird sie baldigst bringen und Sie können Zeuge der Feier sein, unter welcher sie ihre Plätze wiedererhalten. Es sind gestern um die Zeit des Raubes gar keine Besucher hier gewesen, der einzige Grund, daß die Tat gelingen konnte. Kommen Sie weiter! Ich will Ihnen den Haupttempel zeigen.“
Bei den beiden hatten nur der Wichsier, Richard und Liang-ssi gestanden. Sie folgten ihnen in den Hauptteil des Tempels, und der Bonze ging ihnen langsam nach.
Turnerstick und der Mijnheer waren gewöhnt, die letzten im Zug zu sein. Sie hatten sich, als sie über den Hof schritten, nicht allzu sehr beeilt. Sie schauten sich da sehr gemächlich um und traten infolgedessen in den vorderen Tempel ein, als die andern denselben bereits verließen.
Sie hatten auch die Rede des Bonzen nicht verstanden und wußten also nicht, daß der Zug der Priester mit den zurückgekehrten Göttern erwartet wurde.
Nun blickten sie sich im Vortempel um. Als sie die beiden leeren Plätze sahen, sagte Turnerstick: „Ach, Mijnheer, da haben die beiden gestohlenen Gottheiten gesessen. Meinen Sie nicht auch?“
„Wat ik zeg?“ antwortete der Dicke. „Ja, daar hebben zij gestaan.“
Sie traten näher und betrachteten sich die Plätze. Die Fläche derselben war so groß, daß ein Mann ganz behaglich da sitzen konnte. Turnerstick legte unternehmend den Kopf zur Seite und meinte: „Gar kein übler Sitz. Habe schon öfters schlechter gesessen. Bin aber auch kein Gott. Möchte wissen, wie es so einem Götzenbild zumute ist. Muß gar nicht so übel sein, angebetet zu werden und Räucherstäbchen unter die Nase zu bekommen! Nicht?“
„Ja, het moet zeer heerlijk zijn – Ja, es muß sehr vortrefflich sein.“
„Nun, man kann hier ja sehen, wie es ist. Die Gelegenheit ist vortrefflich. Ich werde mich mal auf diesem Postament niederlassen und mir einbilden, daß ich ein chinesischer Götze sei. Bin neugierig, ob die andern Gottheiten etwas dazu sagen.“
So schnell ihm dieser Gedanke gekommen war, so schnell wurde er auch ausgeführt. Der Kapitän setzte sich nieder, rückte sich zurecht, nahm eine bequeme Haltung an, kreuzte die Beine übereinander, wie die andern Götter es taten, und fragte dann: „Nun, Mijnheer, wie nehme ich mich aus?“
„Zeer goed.“
„Und nun den Fächer dazu! Jammerschade, daß wir allein sind! Ich wollte, es käme ein Chinese. Möchte wissen, ob er mich für Buddha oder für Heimdall Turnerstick hält. Ich glaube, für Buddha. Schade, daß keiner da ist. Und der Schreck, wenn ich ihn dann mit meinem prachtvollen Chinesisch anreden würde! Diese Verbeugungen!“
„Ik word u een maken – ich werde Ihnen eine machen!“
Turnerstick hatte den Riesenfächer ausgespannt und hielt ihn graziös in der Rechten, während er durch die Linke seinen Zopf gleiten ließ. Auf seiner Vorlukennase saß der Klemmer. Der Dicke stellte sich vor ihn hin, verbeugte sich und sagte: „Mijne complimenten, Mijnheer Buddha! Hoe staat het met uwe gezondheid?“
„Wie es mit meiner Gesundheit steht? Ganz vortrefflich, besonders seitdem ich einer von den hundert Himmelsherren bin. Aber, Mijnheer, es sitzt sich hier als Gott wirklich ganz ausgezeichnet. Wollen Sie es nicht auch einmal versuchen?“
Der Dicke streichelte sich bedenklich das Kinn und antwortete: „Wordt men want mögen – Wird man denn dürfen?“
„Dürfen? Warum denn nicht? Was fragen Sie noch! Sie sehen ja, daß ich darf, daß ich hier sitze! Oder fürchten Sie sich etwa?“
„Neen!“
„Nun, so folgen Sie meinem Beispiel! Ich möchte auch Sie einmal als Gott sehen.“
„Als god? Mij? Goed, ik word het verzoeken – Als Gott? Mich? Gut, ich werde es versuchen.“
Die beiden hatten in ihrem Eifer gar nicht auf ein erst sehr entferntes Geräusch geachtet, welches aber schnell näher kam. Man konnte jetzt deutlich die Töne von Gongs, Pfeifen, Klingeln, Glocken und andern chinesischen Musikinstrumenten hören.
Der Dicke ließ sich krächzend auf das andre Postament nieder, schob sich
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