32 - Der Blaurote Methusalem
Anwesenden eines Blickes zu würdigen.“
„Und draußen setzen wir uns in die Sänften?“ fragte Turnerstick.
„Nein, das ja nicht! Man würde dadurch erfahren, daß wir zusammengehören, denn es versteht sich ganz von selbst, daß man Sie beobachten wird. Sie gehen vom Tempel aus rechts ab, dann links in die erste Gasse hinein, biegen abermals rechts ab, so daß man Sie von hier aus unmöglich sehen kann, und warten dort auf uns. Wir werden schnell nachfolgen, oder, wenn wir das für vorteilhafter halten, Ihnen zwei Sänften nachsenden, in welche Sie rasch steigen, um heimgebracht zu werden.“
Der Mao-sse war dieser Unterredung mit gespannter Aufmerksamkeit gefolgt. Es spielte ein leises Lächeln um seine Lippen, als er sich jetzt an Liang-ssi wandte: „Nun haben die Lamas meine Frage beantwortet?“
„Ja.“
„Und wo können wir sie wiedersehen?“
„Sie wissen augenblicklich nicht, wohin sie sich von hier aus wenden werden. Aber sie werden täglich hierher kommen und bei dieser Gelegenheit dem Ta-sse sagen, wo sie ihre Wohnung aufgeschlagen haben. Von ihm kannst du es erfahren.“
Der Mandarin nickte ihm freundlich-listig zu und sagte: „Vielleicht werden die heiligen Lamas mir erlauben, ihnen eine Wohnung anzuweisen, welche ihrer hohen Stellung würdig ist?“
„Sie werden dein Anerbieten mit Dank hören, aber keinen Gebrauch von demselben machen.“
„Warum sollten sie das nicht?“
„Weil sie dir nicht beschwerlich fallen wollen.“
„Davon kann keine Rede sein. Mein Haus ist ein sehr gastliches und hat Platz für viele Leute. Es wohnen in demselben oft über hundert Gäste verschiedenen Ranges. Und sollten die Lamas denken, daß mein Rang zu niedrig sei, als daß sie bei mir einkehren könnten, so will ich dir sagen, wie ich heiße und was ich bin. Mein Dienstname ist Ling; mein Haus wird Huok-tschu-fang (Gefängnis) genannt, und ich bin in demselben als Pang-tschok-kuan (Gefängnisgouverneur) angestellt.“
Liang-ssi trat einen Schritt zurück und betrachtete den Sprechenden mit unsicherem Blick. Da dessen Gesicht aber ebenso freundlich wie vorher war, beruhigte er sich wieder und antwortete: „Da bekleidest du ein sehr wichtiges Amt, welches deine Zeit so sehr in Anspruch nimmt, daß Privatgäste dich nicht behelligen dürfen.“
„Oh, mein Haus steht einem jeden offen, dem es anderswo nicht gefallen will; aber wenn die Lamas mich wirklich nicht begleiten wollen, so lasse ich sie bitten, sich in die Gebräuche dieses Landes zu fügen, wenn sie sich nicht wieder der Gefahr aussetzen wollen, für andere Wesen gehalten zu werden, als sie sind. Aber wie es scheint, sind diese Gebräuche ihnen unbekannt?“
„Das weiß ich nicht, da ich sie hier zum erstenmal gesehen habe und sie also nicht kenne.“
„Mache sie ganz besonders darauf aufmerksam, daß jemand, welcher so weit her, aus Tibet nach Kuang-tschéu-fu kommt, einen Paß haben muß, welcher von dem chinesischen Wang in Lhasa ausgestellt und unterzeichnet sein muß. Haben sie einen solchen?“
„Ich weiß es nicht.“
„So frage sie! Ich möchte denselben gern sehen.“
„Wo denkst du hin! Ich soll zwei heilige Lamas, welche den Göttern gleichgeachtet werden, nach ihren Pässen fragen? Das ist unmöglich!“
„Ich halte es gar nicht für unmöglich, sondern vielmehr für ganz selbstverständlich. Aber du bist in Lhasa gewesen und mußt das also besser verstehen als ich. Ich will es also dahingestellt sein lassen, ob sie Pässe haben oder nicht, denn ich werde mich sehr hüten, Männer zu beleidigen, welche wirkliche Lamas sind. Aber du selbst bist doch nicht etwa auch ein Lama?“
„Nein.“
„Du sagtest, daß Sze-tschuen deine Heimat sei. Kommst du direkt von dort?“
„Ja.“
„Diese Provinz liegt sehr weit von hier entfernt, und wenn man eine solche Reise unternimmt, so versieht man sich mit allem, was dazu erforderlich ist. Das hast du doch getan?“
„Ja.“
„Das allernötigste ist da ein Paß. Es ist vorgeschrieben, daß jeder, welcher aus einer Provinz in die andere geht, einen Paß haben muß, damit er zeigen und beweisen kann, wer er ist. Du wirst dieses Gesetz kennen, da du mich erraten ließest, daß du auch ein Mandarin bist und dich im Besitz eines literarischen Titels befindest. Ich denke also, daß du entweder bei dem Tsung-tu (Generalgouverneur) oder beim Fu-juen (Untergouverneur) von Sze-tschuen gewesen bist, um dir eine solche Legitimation ausstellen zu lassen. Hast du das
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