Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
32 - Der Blaurote Methusalem

32 - Der Blaurote Methusalem

Titel: 32 - Der Blaurote Methusalem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
Vom Netzwerk:
getan?“
    „Nein.“
    „Warum nicht?“
    „Weil mein Gelübde mich daran verhinderte.“
    „So hast du ein sehr gefährliches Gelübde getan, welches dir außerordentlich lästig fallen kann. Oder hast du vielleicht gelobt, legitimationslos aus einem Gefängnis in das andere zu wandern?“
    Jetzt erschrak Liang-ssi. Er begann sich weniger sicher als vorhin zu fühlen, und antwortete: „Das ist nicht meine Absicht gewesen. Wenn ich dir mein Gelübde mitteilen könnte, so würdest du begreifen, daß ich keinen Paß bei mir tragen darf.“
    „So tut es mir leid um dich, denn ich will dir wohl. Ich erkenne deinen Rang an, ohne daß du mir beweisen kannst, daß du ihn besitzest. Ich bin dir auch dankbar für die Gefälligkeit, jetzt unser Dolmetscher zu sein, und werde dich nicht weiter belästigen. Aber andere Mandarinen werden anders denken und sich nicht an dein Gelübde kehren. Sei also von jetzt an vorsichtig, und halte dich besonders von Leuten fern, welche vorgeben, heilige Lamas zu sein! Du könntest sonst leicht in den Verdacht kommen, als Genosse von Männern behandelt zu werden, von denen du behauptest, daß sie dir fremd seien. Jetzt kannst du gehen; sage aber vorher diesen Heiligen aus Lhasa, daß ich auch ihnen die Erlaubnis erteile, diesen Tempel zu verlassen!“
    Als er das gesagt hatte, erhob sich hinter ihm unter den Priestern, Bonzen und anderen Mandarinen ein unwilliges Gemurmel. Diese Leute waren mit der Entfernung der Lamas nicht einverstanden. Der Ta-sse trat herbei und sagte: „Ihre junge Würde vergißt, daß ich als Oberer dieses Tempels auch ein Wort mit den Fremden zu sprechen habe. Ich muß mich genau überzeugen, daß sie wirklich heilig sind. Wäre dies nicht der Fall, so hätten sie die Sitze der Götter entweiht, so daß diese nicht wieder darauf Platz nehmen könnten. Ich verlange also, daß die Lamas hierbleiben.“
    Der Mandarin gab ihm mit den Augen einen heimlichen Wink, der ihn beruhigen sollte, und antwortete: „Ich bitte Ihre fromme Würde, ihnen doch das Tor öffnen zu lassen! Wir können ihnen nicht beweisen, daß sie keine Lamas sind, und dürfen sie also nicht belästigen. Übrigens werden sie täglich nach hier zurückkehren, wobei vollauf Gelegenheit vorhanden ist, mit ihnen zu sprechen.“
    Liang-ssi hatte den Einwand des Tasse gehört und war stehengeblieben, um die Antwort des Mandarins abzuwarten. Nun, da dieselbe so vorteilhaft ausfiel, wendete er sich an Turnerstick: „Sie können gehen. Man wird Ihnen sogleich das Tor öffnen. Aber entfernen Sie sich ja so würdevoll wie möglich!“
    „Soll nicht an Würde fehlen! Ich werde diesen Leuten mein stolzestes Gesicht schneiden. Kommen Sie, Mijnheer; stehen Sie auf! Ich habe die Komödie satt!“
    „Ik ook. Ik wil ook met opstaan en voortgaan; ik heb Honger!“
    Er arbeitete sich aus seiner sitzenden Stellung empor und stieg vom Postament, um hinter Turnerstick nach der Tür zu schreiten.
    Jetzt war der entscheidende Augenblick gekommen. Der Methusalem stand hinter dem Gitter, um, vor Erwartung fast zitternd, zu sehen, ob man sie wirklich gehen lassen werde.
    Langsam und gemessenen Schrittes, die Häupter hoch erhoben und weder nach rechts noch nach links blickend, bewegten sich die beiden nach der Tür. Der junge Mandarin ließ Turnerstick an sich vorüber, dann aber legte er seine Hand schnell auf den Arm des Dicken und fragte: „Mijnheer, gij zijd en Nederlander, niet?“
    Der Dicke ließ sich übertölpeln. Er blieb stehen und antwortete freundlich nickend: „Gewestelijk, ik ben een Hollander.“
    Da stieß der Mandarin ihn zurück, ergriff den Kapitän schnell beim Zopf, um ihn festzuhalten, und rief den Polizisten zu: „Laßt niemand fort; sie sind Betrüger! Sie haben diese heilige Stätte entweiht. Ich arretiere sie!“
    Diesem Befehl folgte eine außerordentlich lebhafte Szene. Turnerstick hatte zwar die chinesischen Worte nicht verstanden, aber doch begriffen, was gemeint war. Er wollte nach der Tür springen, welche noch gar nicht geöffnet worden war; dabei wurde ihm ganz selbstverständlich die Mandarinenmütze vom Kopf gerissen, weil sein Zopf in der Hand des Gefängnisbeamten hängenblieb. Die Bonzen warfen sich ihm schreiend entgegen; er wehrte sie mit wütenden Faustschlägen von sich ab, warf ihrer mehrere nach rechts und links, kam aber nicht hindurch, da ihrer zu viele waren. Er wurde überwältigt und von zehn, zwölf, sechzehn Händen festgehalten. Sein Widerstand war so kräftig, so

Weitere Kostenlose Bücher