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32 - Der Blaurote Methusalem

32 - Der Blaurote Methusalem

Titel: 32 - Der Blaurote Methusalem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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hinter ihm aber sofort wieder verschlossen, damit kein andrer außer ihm hereintreten könne. Mit einem schnellen Blick überschaute er die Lage. Die Gefangenen standen, von den Polizisten festgehalten, nebeneinander, vor ihnen der Gefängnisbeamte, welcher sie, wie zu erraten war, soeben einem scharfen Verhör unterworfen hatte. Man hatte ihnen die im Kampf verlorenen Gegenstände wiedergegeben.
    Da der Tong-tschi ein höheres Amt bekleidete als die anwesenden Mandarinen, so verbeugten sie sich alle vor ihm, und der junge Beamte trat zurück, um ihm bescheiden seinen Platz zu überlassen.
    Als Turnerstick den Gastfreund erblickte, rief er erfreut aus: „Gott sei Dank, da ist der Tong-tschi! Nun sind wir gerettet. Ich werde ihm die Sache ausführlich erzählen.“
    Er wollte auf den Genannten zutreten, um ihm eine seiner berühmten Reden zu halten, aber Liang-ssi zog ihn zurück und sagte: „Bleiben Sie! Was fällt Ihnen ein! Er kommt uns zu retten. Das kann ihm aber nur dann gelingen, wenn niemand ahnt, daß wir seine Gäste sind.“
    „So! Dann werde ich ihn freilich nicht kennen. Aber übersetzen Sie uns schnell alles, was gesprochen wird. Ich muß doch wissen, was die Kerls verhandeln, und sie sprechen leider ein Chinesisch, welches für einen guten Linguisten ganz und gar unverständlich ist.“
    Der Tong-tschi musterte die Gruppe mit einem Blick des Erstaunens, ganz wie einer, welcher keine Ahnung hat von dem, was da geschehen ist. Dann fragte er: „Warum ist der Tempel verschlossen? Was ist geschehen? Ich hörte draußen, daß fremde Götter angekommen seien.“
    „Sie gaben sich dafür aus“, antwortete der junge Mandarin, „und wir glaubten ihnen anfänglich. Aber Ihre hohe Würde wird bald erkennen, daß sie Betrüger sind.“
    „Wie? Können Götter Betrüger sein?“
    „Nein; aber diese Leute sind eben keine Götter, sondern Menschen, fremde Fu-len, welche die Sitze unsrer Gottheiten eingenommen und den Tempel geschändet haben.“
    „Dann müssen sie aufs strengste bestraft werden. Mein jüngerer Bruder mag mir erzählen, was geschehen ist.“
    Der Gefängnisbeamte gab ihm einen eingehenden Bericht. Der Tong-tschi hörte ihm sehr aufmerksam zu, musterte dann die Gefangenen mit strengem Blick und sagte: „Also diese Männer geben sich für heilige Lamas aus und sprechen doch die Sprache der Fu-len? Hat sich da mein Kollege nicht geirrt?“
    „Nein. Ich hatte amtlich sehr oft mit solchen Fu-len zu tun und habe mir viele ihrer barbarischen Redensarten gemerkt. Dieser eine Fremde ist doppelt strafbar, da er sich ohne alles Recht die Kleidung der Mandarine angeeignet hat.“
    „Vielleicht ist er ein Mandarin seines Volkes!“
    „Gibt ihm das ein Recht, sich wie einer unsrer Kuan-fu zu kleiden?“
    „Sollten sich seine Beamten nicht ebenso kleiden wie die unsrigen?“
    „Nein, ich weiß das gewiß. Übrigens kann ich leicht beweisen, daß er ein Betrüger ist. Er gibt sich für einen Tafu-tsiang aus und trägt doch den Knopf eines andren Offiziers. Man sehe seine Mütze! Hier ist sie!“
    Er nahm dem Kapitän die Mütze vom Kopf und hielt sie dem Tong-tschi vor die Augen. Dann riß er ihm auch die Perücke mit dem Zopf vom Kopf, schwenkte diese ‚falsche Behauptung‘ hin und her und sagte: „Und ist dieses Haar sein Eigentum? Hat er sich den Kopf scheren lassen, wie es einem Chinesen und ganz besonders einem Mandarin geziemt? Nein, er trägt die Schande eines vollen Haares, ganz wie ein Barbar, und darüber einen Zopf, welcher nicht auf seinem Kopf gewachsen ist. Er ist also kein Chinese und noch viel weniger ein Gott, welcher das Recht hat, sich hier zwischen den Anbetungswürdigen niederzulassen!“
    „Aber“, meinte der Tong-tschi diplomatisch, „ich habe oft gehört, daß die Lamas falsche Zöpfe tragen. Vielleicht ist er dennoch einer!“
    Turnerstick ärgerte sich darüber, daß der junge Mann so unehrerbietig mit dem Zopf umging. Er fragte Liang-ssi leise: „Was will er? Was hat er mit meiner Perücke? Was sagt er?“
    Liang-ssi erklärte es ihm ebenso leise wie schnell.
    „Alle Wetter! Ich werde ihm sagen, daß mein Kopf mir gehört und ich mit demselben tun und lassen kann, was mir beliebt. Dieser Zopf kostet zwei Dollar; ich habe sie bezahlt und lasse ihn nun nicht wie einen Eselsschwanz behandeln!“
    Er trat zwei Schritte vor und fuhr den Jüngling erbost an: „Her mit der Perücking! Her!“ Dabei riß er sie ihm aus der Hand. „Sie ist mein Eigentum und du kannst die

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