32 - Der Blaurote Methusalem
unterrichten.
„Nein, denn die Leute sind wie ganz gewöhnliche Kulis gekleidet, und ich habe auch dafür gesorgt, daß ganz einfache Palankins vorhanden sind.“
„Das ist ja ganz ausgezeichnet. Aber werden die Träger auch so klug sein, ohne anzuhalten nach dem Schiff zu laufen?“
„Sie brauchen nur ein einziges Mal auszuruhen. Wo das geschehen soll, das hat der Mann mit dem Paß zu bestimmen. Auch habe ich es ihnen schon gesagt. Es ist nicht allzuweit von hier.“
„Sind es viele Kleider?“
„Nur zwei Mandarinenanzüge. Wollen Sie dieselben sehen?“
„Ich bitte, es zu dürfen.“
„So kommen Sie!“
Der Tong-tschi führte Degenfeld in eine Stube, welche für den letzteren nicht bequemer liegen konnte, denn sie stieß an die seinige. Da hingen zwei vollständige Anzüge nebst Mützen mit Knöpfen und Pfauenfedern, welche letztere ein Zeichen großer kaiserlicher Gewogenheit und Anerkennung sind. Nicht das geringste fehlte. Selbst die Gegenstände, welche trotz ihrer Kleinheit eine so große Wichtigkeit besaßen, waren vorhanden, denn der Mandarin griff in die Ärmel, welche in China bekanntlich als Taschen benutzt werden, und zog zwei Medaillen hervor, welche er dem Methusalem zeigte, um sie dann wieder zurückzustecken. Dabei sagte er lächelnd: „Diese Kleider und Münzen sind nämlich für zwei gute Freunde bestimmt, welche einmal versuchen wollen, wie man sich als Mandarin fühlt. Es ist nur ein Scherz, und sie werden mir diese Gegenstände alle sofort zurücksenden, damit mir später nichts davon fehle, denn über diese Münzen habe ich Rechenschaft abzulegen.“
„Wann werden sich diese Freunde ankleiden?“
„Kurz bevor sie gehen. Sie nehmen ihre eigenen Anzüge in der Doppelsänfte mit, um sie dann, bevor sie das Schiff erreichen, wieder zu vertauschen.“
Das war alles genau so arrangiert, als ob der Gottfried dem Mandarin seine Gedanken und Pläne mitgeteilt hätte. Nun handelte es sich darum, die Gefährten glücklich aus dem Gefängnis und in die Sänften zu bringen. Das war freilich die Hauptsache, zu deren Gelingen aber der Tong-tschi nichts beitragen konnte, wenigstens nicht direkt.
Indirekt aber tat er sein möglichstes. Denn als er nun mit Degenfeld in das Speisezimmer zurückgekehrt war, brachte er das Gespräch auf die Gefangenen und beschrieb bei dieser Gelegenheit das Gefängnis so genau und eingehend, daß der Methusalem schließlich auf das allerbeste orientiert war.
Ungefähr eine Stunde vor Mitternacht brach er auf. Er sagte, daß er heute noch einige Stunden zu arbeiten habe und auch auf die Rücksendung der Kleider und Münzen warten müsse. Er schüttelte den dreien die Hände auf das herzlichste, tat ganz so, als ob er nur für diese Nacht Abschied von ihnen nehme, drehte sich aber unter der Tür noch einmal um und sagte in gerührtem Ton: „I lu fu sing!“
Als er dann fort war, schüttelte Gottfried den Kopf und sagte: „Jetzt weiß ich nicht, ob ich ihn recht verstanden habe. Es ist janz so, als ob er jelauscht hätte, als wir unten im Garten miteinander sprachen.“
„Das kann nicht geschehen sein, weil der Ho-po-so bei ihm war.“
„Dann ist mich diese Jeschichte ein noch viel jrößeres Rätsel. Was hatten denn seine letzten Worte zu bedeuten?“
„Möge euch das Glück auf eurer Reise begleiten!“
„So hat er gesagt? Donner und Doria, dann ist es richtig! Dann habe ich ihm verstanden! Wir sollen auf das Schiff. Oder nicht?“
„Ja.“
„Und wat war's mit die Kleidage?“
„Kommt! Ich will es euch zeigen.“
Er führte die beiden in die erwähnte Stube. Als Gottfried die Anzüge erblickte, sagte er: „Da ist ja jeder Wunsch erfüllt. Dieser Tong-tschi muß heut mal allwissend jewesen sein. Ich könnte ihn küssen oder ihm ein Morjenständchen off meine Oboe bringen. Nur die Zöpfe fehlen.“
„Brauchen wir nicht, denn wir haben da nicht gewöhnliche Mützen, sondern Regenhüte mit Kapuzen. Er hat eben alles überlegt.“
„Wie soll denn dat allens werden?“
„Das wirst du nachher erfahren. Jetzt will ich einmal sehen, wie es im Haus steht, wer noch wach und munter ist und wo sich die Sänften befinden.“
Im Stockwerk brannte nur eine einzige einsame Lampe. Unten hing zwischen Vorder- und Hintertür auch eine solche. Die erstere Tür war verschlossen; die zweite stand offen. Als Degenfeld hinaustrat, sah er die Sänften stehen. Ein Mann erhob sich vom Boden, trat nahe zu ihm heran, verbeugte sich und fragte: „Wann befiehlt
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