32 - Der Blaurote Methusalem
entheben werde. Es ist sogar möglich, daß Sie angenommen haben, ich werde ganz ohne Strafe davon kommen. Ihnen kann es ja überhaupt gleichgültig sein, was mir geschieht; Ihr Gewissen wird sich nicht davon beschwert fühlen.“
Das klang so eindringlich und wurde in so ernstem, traurigen Ton vorgebracht, daß der Methusalem sich davon gerührt fühlte. Er antwortete: „Ich denke nicht, daß Sie ganz ohne Strafe davon kommen werden; aber die Ahndung wird wohl auch nicht allzu hart sein. Man wird Ihnen einen Verweis erteilen.“
„Sie irren. Es sind gestern zwei Verbrecher entkommen; an ihrer Stelle sitzt nun der betreffende Beamte im Gefängnis. Ganz ebenso wird es auch mir ergehen, und ich sage Ihnen, daß mir mein Ehrgefühl verbietet, das geschehen zu lassen. Ich sehe ein, daß ich Sie nicht hindern kann, diese Leute hier zu befreien; aber mich dann einsperren und meines Amtes entsetzen lassen, das kann ich verhüten. Sobald Sie sich entfernt haben, werde ich mich töten, und ich halte Sie nicht für so gewissenlos, daß Ihnen der Gedanke, der Mörder eines pflichtgetreuen Beamten zu sein, gleichgültig ist.“
Man sah ihm an, daß es ihm mit diesen Worten vollständig ernst sei. Degenfeld erkannte, daß er es hier mit einem festen Charakter zu tun habe. Er war vollständig überzeugt, daß der Mandarin sich wirklich das Leben nehmen werde. Das brachte ihn natürlich in große Verlegenheit. Die Gefährten sollten und mußten befreit werden; aber sollte ihre Freiheit mit dem Tod eines so braven Mannes bezahlt werden? Das mußte man vermeiden. Aber wie? Er versuchte, ihn durch freundliche und eindringliche Vorstellungen von seinem Vorhaben abzubringen, doch vergebens. Der Mandarin hörte ihn ruhig an und antwortete dann, indem er langsam den Kopf schüttelte: „Ihre Bemühung, mich davon abzubringen, ist vollständig überflüssig. Das Amt, welches ich bekleide, steht so hoch über meinem Alter, daß tausend Mandarine mich um dasselbe beneiden. Ich habe es durch ernste Anstrengung und treue Pflichterfüllung errungen und weiß, daß mir die höchsten Würden offenstehen. Aber keine einzige dieser Hoffnungen wird sich erfüllen, wenn ich morgen melden muß, daß meine Gefangenen entkommen seien. Man wird mich selbst in den Kerker stecken; dann gehöre ich zu der untersten Klasse des Volkes, zu den Unehrlichen, und kann niemals wieder eine Anstellung finden. Lieber will ich sterben. Sie besitzen einen Paß, den selbst die höchsten Mandarine respektieren müssen; aber keiner von ihnen darf sich durch denselben zu einer direkten Pflichtwidrigkeit verleiten lassen; bringen Sie mir einen Befehl, dem ich unbedingt zu gehorchen habe, so will ich diese Männer gern freigeben und den Folgen ruhig entgegensehen.“
„Das kann ich nicht, denn ich bin nicht im Besitz eines solchen schriftlichen Befehls.“
„So tun Sie, was Sie vor Ihrem Gewissen verantworten können. Ich weiche der Gewalt, wiederhole aber, daß das Tor, durch welches Sie Ihre Freunde aus dem Gefängnis führen, sich morgen auch meiner Leiche öffnen wird.“
„Entsagen Sie diesem Gedanken, und denken Sie an Ihre Verwandten, denen Sie damit den größten Schmerz bereiten würden“, bat der Student.
„Ehrlosigkeit ist schlimmer als der Tod. Übrigens habe ich keine Verwandten. Ich weiß nicht, wo meine Eltern und Geschwister sich befinden, ob sie überhaupt noch leben. Kein Auge wird weinen, wenn das meinige sich geschlossen hat.“
Der Chinese hält die Familienbande außerordentlich heilig. Die Verehrung der Ahnen ist bei ihm ein Gegenstand des Kultus, und er hält es für ein großes Unglück, über seine Vorfahren nicht Rechenschaft geben zu können. Die letzten Worte des Mandarinen enthielten also nicht nur ein außerordentlich aufrichtiges Geständnis, sondern sie waren auch ganz geeignet, das Mitgefühl, welches die Anwesenden für ihn empfanden, noch zu erhöhen.
Gottfried von Bouillon verstand Chinesisch genug, um das erraten zu können, was er nicht gerade wörtlich verstand. Er sagte zu dem Blauroten: „Dieser jute Mensch kann mich leid tun. Er macht mit seine Drohung janz jewißlich Ernst. Haben wir keinen Befehl für ihn, so wollen wir es doch wenigstens einmal mit dem Paß des Bettlerkönigs versuchen, den Sie von Hu-tsin empfangen haben. Denken Sie nicht?“
„Nein. Dieser T'eu-kuan ist kein amtliches Schriftstück.“
„Aber der Juwelier hat jesagt, dat ein jeder ihm respektieren werde.“
„Ja, aber ohne dann den
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