32 - Der Blaurote Methusalem
gehalten?“
„Stets! Aber wenn du dich jetzt nicht aufraffst, wird dein Kong-kheou zu Schanden werden.“
„Warum?“
„Weil man uns sonst hier ermorden wird.“
„Er – mor – den?!“
„Ja. Hast du meine Schüsse nicht gehört? Ich habe zwei Chinesen erschossen.“
„Alle Wetter! Träume ich? Mein Kopf, mein Kopf! Was ist mit mir und mit meinem Kopf? Warum liegen diese drei wie tot am Boden?“
„Weil man euch Opium gegeben hat, um euch zu betäuben. Die Halunken haben zwei Löcher dort in die Tür gebohrt, um zunächst den Hund zu erschießen; ich aber habe ihnen zwei Kugeln gegeben, welche sicherlich getroffen haben!“
„Du – hast – geschossen! Wer – wer sprach vorhin vom Relegieren?“
„Ich. Es war das einzige Mittel, dich wach zu bringen.“
„Ah – ah – braver Kerl! Kluger Bursche! Aber mein Kopf, mein Kopf!“
Er legte sich die Hände an die Schläfen und gab sich Mühe, ohne Taumeln fest zu stehen.
„Bleib munter, bleib munter, Onkel! Es hängt unser Leben davon ab!“
„Ja, Leben – Ehrenwort – Kong-kheou – Relegatio cum infamia! Kerl, das war ein starker Tabak, aber er soll geraucht werden. Opium! Richard, mir ist's zum Umsinken dumm im Kopf. Du mußt mir helfen!“
„Gern! Aber wie?“
Degenfeld wankte noch immer hin und her. Er stemmte eine Hand gegen die Wand und antwortete: „Du mußt es aber auch tun, unbedingt!“
„Kann ich denn?“
„Ja. Gib mir dein Wort!“
„Ich gebe es.“
„Gut! Du wirst es halten; ich weiß es. Stecke mir also eine Ohrfeige, aber eine aus Herzensgrund!“
„Onkel!“
„Pah! Warte nicht ewig! Es muß sein; es geht nicht anders, mein Junge! Nicht ich, sondern das Opium bekommt den Hieb. Also vorwärts!“
„Wird's denn wirklich helfen?“
„Ich denke es. Alle Wetter, mach rasch, sonst setze ich mich wieder nieder!“
„Na, denn gut, so setze dich!“
Richard holte aus und gab ihm die verlangte Ohrfeige, und zwar so ‚aus Herzensgrund‘, daß der Getroffene wirklich sogleich zum Niedersinken kam. Er sprang aber augenblicklich wieder auf, griff nach seiner Wange und rief: „Hol's der Kuckuck, Junge! Gar so kräftig hatte ich es nicht gemeint! Aber es schadet nichts. Viel hilft viel, sagte der Bauer, da sprang er ins Bett und brach durch. Jetzt ist mir's wohler. Nun sage schnell, was ist geschehen?“
Richard gab ihm kurz Bericht. Der Methusalem trat an das Fenster und sah hinaus, ging dann zur Tür, um die Beschädigung derselben zu betrachten, und sagte dann: „Richard, hier hast du meine Hand! Du bist ein kluger und auch tapferer Bursche und hast uns das Leben gerettet. Halte nur noch kurze Zeit aus, bis ich wieder in vollem Besitz meines Kopfes bin. Sobald ich blaß werde, gibst du mir wieder eine Backpfeife; das hilft; ich fühle es. Wir haben jetzt kein andres Mittel. Ich will zunächst nach den Gewehren sehen und die Flinten des Dicken wieder laden. Behalte die Tür scharf im Auge. Ich werde ein Gewehr laden und es dir geben. Sobald du siehst, daß jemand von draußen das Papier entfernt, schickst du augenblicklich eine Kugel nach der betreffenden Stelle.“
Er schob zwei Patronen in den Hinterlader und gab diesen dem Knaben. Eben als das geschah, wendete sich der Hund knurrend gegen die Fenster. Der Blaurote warf einen Blick nach dieser Gegend, riß sofort Richard das Gewehr aus der Hand und legte an.
Man sah erst die Beine und dann den Leib des Mannes, der dort erschien. Jedenfalls wurde derselbe vom Bord aus an einem Seile niedergelassen.
„Jetzt wollen sie es von dort aus versuchen; das soll ihnen aber auch verleidet werden“, flüsterte der Student.
Jetzt, wo es galt, stand er ohne Wanken. Das Opium hatte keine Gewalt mehr über ihn.
„Willst du ihn erschießen?“ fragte Richard.
„Ja.“
„Ein Menschenleben! Sollten wir es nicht schonen?“
„Hast du die beiden anderen geschont? Ich bin nun überzeugt, daß wir uns unter Seeräubern befinden: die geben kein Quartier; wir können uns nur dadurch retten, daß wir an keine Milde denken. Leben gegen Leben. Vielleicht will der Kerl einen Stinktopf hereinwerfen. Gelingt ihm das, so sind wir verloren.“
Jetzt war der Mann so weit niedergeglitten, daß sein Gesicht an der Fensteröffnung erschien. Der Methusalem drückte los, und das Gesicht verschwand. Man hörte zornige Rufe erschallen.
Degenfeld trat an das Fenster und sah hinaus.
„Richtig!“ sagte er. „Da neben dem Seil sehe ich einen Strick, an welchem ein Topf
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