32 - Der Blaurote Methusalem
der Tür wieder in der Absicht nahte, hereinzublicken, mußte eins der Papiere wegstoßen, und dann wußte Richard ganz genau, wohin er die Verteidigung zu richten hatte. Es schien aber keiner der Chinesen daran zu denken, sich in die so gefährliche Nähe der Tür zu wagen. Auch wurde die Aufmerksamkeit des Knaben zunächst von derselben ab- und auf seine Gefährten gezogen.
So tief die Betäubung war, in welcher sich dieselben befunden hatten, das Krachen der beiden Schüsse war doch in ihr Gehör gedrungen. Sie bewegten sich, doch freilich in sehr verschiedenem Grade.
Der Dicke regte sich nur ein wenig und murmelte, ohne die Augen zu öffnen: „Hem! Jemand schiet. Dat gevet gebraden kater – Hm! Jemand schießt! Das gibt Katerbraten.“
Er dachte also sogar in seinem jetzigen Zustand an das Essen, und zugleich erinnerte er sich an Gottfrieds schlechten Witz vom Katzenfleisch. Dann sank er wieder in seine Betäubung zurück.
Turnerstick wendete sich langsam auf die andre Seite und sagte: „Nochmals Feuer, Jungens! Und gut gezielt! Gebt es ihm!“
Er schien zu glauben, daß sein Schiff sich mit einem andern im Kampf befinde.
Gottfried von Bouillon richtete den Kopf in die Höhe, lauschte einen Augenblick und räsonierte dann: „Dummkopf, wat fällt dich ein! Wie kannst du denn mit meine Oboe schießen! War sie denn jeladen?“
Dann senkte er den Kopf wieder und schlief weiter.
Eine größere Wirkung als auf diese drei hatten die Schüsse auf den Methusalem geübt. Er richtete den ganzen Oberkörper auf und öffnete die Augen. Stier vor sich hinblickend, fragte er: „War das geschossen? Wer – wo – – – warum – – – wa – wa – wa –“
Weiter kam er nicht. Er schloß die Augen und sank wieder zurück. Richard trat zu ihm, faßte ihn bei den Schultern und zog an denselben.
„Onkel, wach auf, Onkel Methusalem!“
Diese Aufforderung des Knaben fand kein Gehör. Er richtete mit Mühe den schweren Oberkörper des Betäubten wieder auf und rief: „Onkel, so höre doch! Ich habe zwei Chinesen erschossen. Man will uns morden!“
„Laß – laß – laß mich!“ antwortete Degenfeld, welcher abermals umsinken wollte.
Richard aber hielt ihn fest und bat: „Wach auf, wach auf! Wir befinden uns in großer Gefahr!“
„Ge – – – fahr?“ lallte der andre.
„Ja. Öffne doch wenigstens die Augen!“
„Au – au – Augen!“
Man sah, daß er sich Mühe gab, die Lider zu heben; aber es gelang ihm nicht. Da verfiel Richard auf ein Mittel, von welchem er sich Wirkung versprach. Er rief dem Studenten in zornigem Ton zu: „Sonderbarer Mensch! Hörst du denn nicht, dummer Junge!“
Diese doppelte Beleidigung zeigte sofort den gewünschten Erfolg. Der Methusalem riß die Augen auf und schrie: „Schandfuchs! Ich haue dir eine horrible! Scharfe Schläger her, Gottfried!“
Er erkannte Richard trotz geöffneter Augen nicht.
„Selber Fuchs!“ antwortete dieser. „Dreimal relegierter Affe!“
Dieser Vorwurf erwies sich stärker als die Betäubung. Der Methusalem schleuderte den Knaben von sich, richtete sich auf die Knie empor und donnerte: „Wie? Was? Rele – rele – – – ich – – – ich?“
„Ja, du! Infam relegiert!“
Da sprang der Blaurote vollends auf, streckte beide Hände nach dem Beleidiger aus und rief mit fast überschnappender Stimme: „Mir das! Mir das! Hündischer Knochen, ich zermalme dich!“
Er wollte auf Richard einspringen, taumelte aber gegen die Wand und blieb, die Augen wieder schließend, an derselben lehnen. Mit beiden Händen an den schweren Kopf greifend, wäre er wohl wieder niedergesunken, wenn Richard nicht auf ein neues Mittel gekommen wäre, auf seine Energie zu wirken. Er rüttelte ihn an der Schulter und sagte: „Methusalem, wache doch auf! Es gilt dein Ehrenwort. Willst du dich hier abschlachten lassen und dann nicht dein Ehrenwort halten können? Hörst du, dein Ehrenwort, dein Kong-kheou, dein Kong-kheou!“
„Ehrenwort – Kong-kheou! Das – das – halte ich! Was – was – – – ah, du, Richard?“
Er richtete sich stramm auf, öffnete die Augen und erkannte nun den Knaben.
„Ich bitte dich um Gottes willen“, sagte dieser, „denk an das Kong-kheou! Denk an meine Mutter, und denk auch an Ye-kin-li daheim, denen du dein Wort verpfändet hast.“
Da trat der Blaurote zu ihm heran, legte ihm die Hand auf die Achsel und antwortete: „Knabe, habe ich jemals mein Wort nicht
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