32 - Der Blaurote Methusalem
Tüten alle heraus, bis er ganz unten auf die Munition kam und die beiden abgeschossenen Gewehre nun laden konnte. Dies brachte den Dicken vollends zu sich. Er erkundigte sich, weshalb man seine Gewehre lade, und erhielt die nötige Auskunft. Als er hörte, in welcher großen Gefahr er sich befand, wurde er äußerst beweglich. Er packte nun selbst die Tüten wieder ein, um seine sieben Sachen beisammen zu haben, zog sich dann mit den Gewehren, dem Schirm und dem Tornister in eine Ecke zurück und erklärte, jeden durch und durch zu schießen, der es wagen werde, ihm wenn auch nur ein finsteres Gesicht zu machen.
Nun galt es, auch den Kapitän und Gottfried von Bouillon zur Besinnung zu bringen. Es gelang, wenn auch nur schwer. Sobald sie hörten, daß man ihnen nach Eigentum und Leben trachte, flog der Rausch von ihnen. Aber auf wie lange, das war die Frage. Für jetzt hielt die Energie den Körper aufrecht und die Augen offen; aber vielleicht war das Gift noch gar nicht in seine volle, eigentliche Wirkung getreten; vielleicht begann es erst noch, dieselbe zu entfalten. Dem mußte vor allen Dingen vorgebeugt werden. Aber wie und womit? Ein Gegenmittel gab es ja nicht hier in der Kajüte.
Als erstes Mittel hat der Arzt das Erbrechen und, wenn nötig, die Magenpumpe anzuwenden, um das etwa noch im Magen vorhandene Gift zu entfernen. Deshalb riet Degenfeld seinen Genossen, ihre Mägen durch mechanische Mittel zum Erbrechen zu reizen. Dies reichte aber natürlich nicht aus, da das Opium bereits ins Blut übergetreten war. Die sonst anzuwendenden Medikamente wie Koffein oder Quaranaabkochung gab es nicht. Eine Tanninlösung – ah, das brachte den Methusalem auf einen guten Gedanken.
„Mijnheer, Ihr Tornister muß uns retten!“ sagte er zu dem Holländer.
„Mijn ransden (Ranzen)?“ fragte dieser erstaunt. „Welt gij hem als Medizin opvreten – Wollen Sie ihn als Medizin auffressen?“
„Nein, ich habe es nicht auf den Ranzen, sondern nur auf dessen Inhalt abgesehen. Die verschiedenen Tees, welche er enthält, sind wohl alle mehr oder weniger gerbsäurehaltig. Wenn wir sie stark einkochen und diesen Aufguß trinken, werden sich die Alkaloide des Opiums im Körper in unlösliche Tannate verwandeln. Es ist ein Glück, daß Sie auf den Gedanken gekommen sind, den Branntwein mitzunehmen. Wir können ihn jetzt als Brennmaterial benutzen. Eine Teemaschine haben die Matrosen uns am Nachmittag besorgt; so haben wir alles Nötige beisammen.“
„Ja“, meinte der Dicke, „mijne tee's zijn goed; wij worden ze drinken.“
Er war stolz darauf, daß die Heilmittel seiner vielen Krankheiten sich jetzt als so nützlich erwiesen. Für Trinkwasser hatte der vermeintliche Malaie gesorgt; so konnte man mit dem Kochen beginnen.
Außer Richard bekam jeder die gleiche Portion des heißen, übel schmeckenden Getränkes. Außerdem war es nötig, dem Opium durch unausgesetzte Körperbewegung und tiefes Einatmen frischer Luft zu begegnen. Auf den Vorschlag des Methusalem wurden darum Exerzitien vorgenommen, Turnfreiübungen, bei denen sich der Dicke außerordentlich komisch ausnahm. Er ahmte aber alle Bewegungen und Stellungen, welche der Blaurote als Vorturner kommandierte, mit wahrer Begeisterung nach, denn er fühlte an sich selbst, daß dieses Mittel den gewünschten Erfolg hatte, obgleich es für ihn sehr anstrengend war. Er schwitzte aus allen Poren.
Wären die vier Personen nicht so tüchtige Trinker gewesen, so hätte das Opium eine noch viel größere und nachhaltigere Macht auf sie geäußert. So aber milderte sich die Herrschaft des Giftes mehr und mehr, bis endlich nur noch eine leicht zu ertragende Beklommenheit der Köpfe zurückblieb.
Während sie aus Leibeskräften exerzierten und während der Pausen den starken Absud des Tees tranken, hielt Richard treulich Wache. Er stand mit geladenem Gewehr bereit, dem ersten, der sich an die Tür oder eine der Luken wagte, eine Kugel zu geben. Dabei mußte er sich mehr auf sein Gesicht als auf sein Gehör verlassen. Einen, der sich draußen an die Tür schlich, hätte er nicht hören können, weil die Turnenden zu viel Geräusch verursachten.
ACHTES KAPITEL
In Not und Gefahr
Als die Freunde einmal auf wenige Augenblicke ruhten und es infolgedessen still in der Kajüte wurde, vernahmen sie alle ein leises Klopfen an der Tür.
„Schui nguái – wer ist draußen?“ fragte der Methusalem.
„Guten A-bend!“ erklang die Antwort, leise und indem die einzelnen Silben
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