32 - Der Blaurote Methusalem
welche man gegen die Tür gestemmt hat, wegnehmen. Sie dürfen mir vertrauen.“
„So! Was wollen Sie denn eigentlich bei uns?“
„Ich wollte Sie um Ihre Hilfe bitten, denn ich allein, ich selbst, bin zu schwach, um die Freiheit wiederzuerlangen.“
„Wir sind ja ebenso wie Sie gefangen!“
„Freilich wohl! Aber nach dem, was ich von Ihnen gehört habe, besitzen Sie genug Mut, Entschlossenheit und Waffen, sich wieder zu befreien. Darum wollte ich mich so gern in Ihren Schutz begeben.“
„Das klingt alles sehr gut, aber ich darf Ihnen nicht trauen.“
„Sie dürfen es. Ich meine es ehrlich. Glauben Sie mir das!“
Da legte Gottfried dem Studenten die Hand auf den Arm und flüsterte ihm zu: „Dat klingt so jut und erbärmlich. Der Kerl kann mich leid tun. Wenn es wirklich an demjenigen ist, wie er sagt, so müssen wir uns seiner annehmen. Lassen Sie ihn also rin in die Bude, oller Methusalem!“
„Es ist zu gefährlich!“
„Jefährlich? Dat will mich nicht einleuchten. Wat kann uns so ein einzelner Mann anhaben?“
„Wissen Sie so genau, daß er allein ist?“
„Jenau freilich nicht; aber es ist wat in seine Rede, wat mich ins Herz jeht. Und wenn er nicht allein wäre, wenn die janze Sippschaft bei ihm stände, so fürchte ich als Jottfried von Bouillon mir noch lange nicht. Habe ich damals Jerusalem erobert und den Seldschuken mein Jebiß jezeigt, so sollen die paar Chinesigen mich ooch nicht bange machen. Jewehre haben wir jenug. Wenn wir ihnen eine volle Salve jeben, reißen sie aus, wie die Dorfjungens, wenn der Herr Kantor kommt.“
„Du magst recht haben; aber ich möchte nicht noch mehr Blut vergießen.“
„Und vorhin haben Sie selbst gesagt: Auge um Auge, Schinken um Schinken, Schmer um Schmer!“
„Das war notwendig, um ihnen zu zeigen, was sie von uns zu erwarten haben.“
„Jut, so haben sie auch jetzt, wenn sie uns überrumpeln wollen, nur blaue Bohnen von uns zu erwarten. Ich bin übrigens überzeugt, daß der arme Teufel es wirklich ehrlich meint. Und wat verhindert Ihnen, dat Papier wegzunehmen und dann hinauszuschauen, wat für Jeister draußen sind?“
„Das ist richtig. Wollen sehen.“
Er trat leise an die Tür, entfernte eines der Papiere und blickte durch das Kugelloch. Es war so sternenhell auf dem Verdeck, daß er sich genau orientieren konnte. Es war niemand da. Erst als er das unterste der Papiere wegnahm, sah er den Mann, welcher draußen am Boden lag, das Gesicht nahe an die Tür gelegt. Er klebte die beiden Papiere wieder auf die Löcher und sagte zu dem Wartenden: „Ich will es versuchen. Entfernen Sie also die Stützen!“
Gleich nach diesen Worten wurde draußen ein stoßendes und schiebendes Geräusch hörbar, und dann öffnete der Methusalem die Tür, welche sich nur nach außen in ihren ledernen Angeln bewegte. Der Mann kam schnell herein, und der Student verriegelte die Tür sofort wieder. Dann musterte er den Eingetretenen.
Dieser war ein junger Mann von vielleicht vier- bis fünfundzwanzig Jahren. Er trug eine bessere Kleidung als die Matrosen und sogar deren Offiziere. Waffen sah man bei ihm nicht. Er ergriff die Hand des Methusalem und sagte in herzlichem Ton: „Ich danke Ihnen, mein Herr! Nun darf ich doch Hoffnung haben, wieder freizukommen.“
„Hm!“ meinte der Student kopfschüttelnd. „Ein Chinese, welcher deutsch spricht und unter solchen Verhältnissen sich uns vorstellt, das ist ungewöhnlich. Sie sind doch Chinese?“
„Sogar Vollblutchinese!“
„Und weshalb sprachen Sie uns deutsch an? Wie erfuhren Sie, daß wir Sie verstehen würden?“
„Ich hörte, daß der Amerikaner zu dem Ho-tschang sagte, daß Sie Deutsche seien.“
„Haben Sie auch gehört, welche Absichten man mit oder vielmehr gegen uns hegt?“
„Sie sollen getötet werden.“
„Wann?“
„Sobald es Tag wird.“
„Und wie?“
„Man wird das Dach Ihrer Kajüte einschlagen und Stinktöpfe hineinwerfen.“
„Alle Wetter! Gut, daß wir das erfahren! Bis dahin aber will man nichts unternehmen?“
„Nein. Wenn Sie dann je ausbrechen, so glaubt man, am Tag sich besser gegen Sie verteidigen zu können.“
„Also haben die Kerls doch Angst vor uns?“
„Sogar große Angst. Sie haben doch bereits mehrere getötet.“
„Also sind sie nicht nur verwundet, sondern wirklich tot! Nun, wir werden uns auch ferner unsrer Haut wehren. Jetzt müssen wir uns zunächst mit Ihnen beschäftigen. Was sind Sie denn eigentlich?“
„Kaufmann.“
„Was
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