327 - Mit eisernem Willen
würde ihr Sichtschutz geben, doch dann kam weites Grasland. Ihr Blick wanderte über das Wasser des Sees. Es würde kalt sein, aber zu ertragen. Im Wasser hatte sie die Chance, unentdeckt voranzukommen.
»Geh nun«, sagte sie zu Kolchuu. »Von hier aus muss ich allein weiter. Danke für alles.«
Kolchuu nickte. Er gab ihr den Bogen samt gefülltem Köcher und zog ein vierblättriges Kleeblatt aus der Tasche. »Iss das. Es soll Glück bringen.«
Aruula nahm das getrocknete Blatt in den Mund, berührte Kolchuu ein letztes Mal an der Schulter und machte sich auf den Weg zum Wasser hin. Der Klee schmeckte bitter.
In Gedanken bereitete sie sich auf die kommende Anstrengung vor. Aus einem Gebüsch heraus beobachtete sie die alte Deestyl. Sie konnte niemanden entdecken, doch sie hörte einen Mann singen. Das raue scoothische Trinklied hallte über das Wasser.
Hoffentlich gönnt er sich einen ordentlichen Humpen, das käme mir nur recht.
Mit ruhigen Bewegungen legte Aruula ihren Pelzmantel ab und arbeitete sich so unauffällig wie möglich ins Wasser vor. Die Kälte stach wie Nadeln in ihre Haut, doch nach den Torturen der letzten Tage war dieser Schmerz nahezu angenehm.
Mehrere Äste dümpelten am Ufer. Aruula fand einen, der noch voller Blätter hing, und zog ihn zu sich. Damit konnte sie ihren Kopf ein Stück weit tarnen. Behutsam schob sie sich weiter in den See hinein, bis sie nicht mehr stehen konnte. Sie lauschte auf das Lied und orientierte sich daran. Zumindest einer der McDennals musste sich rechts von ihr befinden. Mit etwas Glück konnte sie die beiden nacheinander erwischen.
Also los. Noch einmal holte sie tief Luft, versicherte sich tastend, dass sie den Bogen nicht verlieren würde, dann tauchte sie. Fast lautlos durchbrach sie am Ufer der Insel die Wasseroberfläche wieder und orientierte sich.
Der Größere der McDennals hockte mit einem Schnitzmesser auf einem Findling und bearbeitete ein Stück Holz. Es war zweifellos einer der beiden Räuber, die sie überfallen hatten.
Aruula wollte den Bogen vom Körper lösen, doch ein heftiges Pulsieren im Lendenbereich hielt sie noch davon ab. Ihre Wirbelsäule wurde mehr und mehr zu einem rot glühenden Dorn, der sie durchbohrte. Sie presste die Zähne aufeinander. Blitze tanzten vor ihren Augen.
McDennal schien irgendetwas gehört zu haben, denn er drehte sich in ihre Richtung. Aruula tauchte ab, legte den Pfeil unter Wasser auf die Sehne. Der Hüne näherte sich. Schon bald würde er ihre Umrisse trotz der Algen sehen können.
Jetzt! , spornte Aruula sich selbst an, sprang in die Höhe und schoss. Der Pfeil traf McDennals Oberarm. Der Hüne schrie überrascht auf. Aruula riss ihren Dolch hervor und warf sich ihm entgegen. McDennal starrte sie entgeistert an. »Du!«, rief er zornig.
Zu mehr reichte es nicht. Aruula war heran und schlug mit aller Macht zu. Der Knauf ihres Dolches traf McDennal an der Schläfe. Er brach in den Knien ein, verdrehte die Augen und blieb liegen. Auch Aruula sackte zu Boden und kämpfte minutenlang gegen den Schwindel und die Schmerzen an. Dann fesselte und knebelte sie McDennal und zerrte ihn in den Sichtschutz des Findlings. Sein Schnitzmesser nahm sie an sich.
Von seinem Bruder war nichts zu sehen. Ob er allein auf einem Raubzug war? Unwahrscheinlich.
Wäre sie in besserer Verfassung gewesen, wäre Aruula ihn suchen gegangen. So aber war es das Vernünftigste, darauf zu warten, bis McDennal nach seinem Bruder sah, und ihm aufzulauern.
Die Kriegerin von den Dreizehn Inseln blickte sich um. Zwischen den zerfallenen Gebäuden standen mehrere Bäume. Allein der Gedanke an eine Kletterpartie ließ sie innerlich aufstöhnen, aber sie brauchte einen Hinterhalt. Normalerweise bevorzugte sie den offenen Kampf, doch diese Banditen waren keine ehrenhaften Gegner. Außerdem hatte sie in ihrem Zustand keine andere Wahl.
Unwillkürlich musste sie an den Celtic Huul denken, der ihr einiges über die Kampftechniken der Clans erzählt hatte. Also auf den Baum , dachte sie eisern.
Aruula wählte eine Buche mit breiten Ästen aus, die der zweite McDennal auf dem Weg zum Ufer passieren musste. Den Bogen legte sie ab und verbarg ihn in einem Gebüsch. Er würde sie nur beim Klettern behindern. Quälend langsam hangelte sie sich die Äste hinauf. Zweimal fürchtete sie, abzustürzen und hilflos auf dem Boden zu liegen, wenn der Bruder anrückte. Sie betete zu Wudan um Kraft und wurde erhört. Es gelang ihr, sich auf dem Baum in Stellung
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