328 - Flucht aus dem Sanktuarium
Grao, sie zu öffnen. Hinter ihr erstreckte sich ein großer, schlauchartiger Raum mit zahlreichen Arbeitstischen, Vakuumkabinen, Monitorwänden, verglasten Druckkammern und Hochtemperaturzellen.
»Mamas Labor!«, entfuhr es Trudy, und es klang sehr zufrieden; gerade so, als ob sie die Gegenwart ihrer Mutter riechen oder wenigstens spüren würde. Beide Mädchen liefen zu einem Arbeitstisch zwischen einer Wand voller Käfige und Terrarien und einem Regal, in dem Dutzende von Glaszylindern standen, mit Kräutern und Blattwerk gefüllt.
»Hier hat Mama meistens gearbeitet.« Trudy kletterte auf den Kniesessel vor dem langen Tisch, die halbwüchsige Maggy lehnte mit der Stirn gegen ein Terrarium und breitete Arme und Hände über den leeren Glaskäfigen aus.
An ihnen vorbei ging Grao’sil’aana in den hinteren Bereich des Labors. Er sah sich um, registrierte sorgfältig jede Einzelheit auf Tischen, an Wänden, in Lagerregalen. Am Ende des Labors führte ein Gang hinaus in eine Zimmerflucht. Er drehte sich nach den Mädchen um. »Wartet hier. Ich bin gleich wieder bei euch.«
Hinter der Labortür herrschte Dunkelheit. Grao schaltete seine Stablampe ein und drang in den dunklen Bereich vor. Mehrere Gänge zweigten von der Zimmerflucht ab, in jedem führten die Türen zu kleinen und großen Räumen, meist Besprechungszimmer, Teeküchen, Putzkammern und Lagerräume.
Der Daa’mure durchwühlte Regale, räumte Schränke aus, stülpte Kisten um. Ganze Arsenale von Glasbehältern fand er, massenhaft Instrumente, Ersatzteile, Laborbedarf, Waffen, Munition, Lebensmittel – doch nichts, was ihm auf Anhieb brauchbar erschien, den Eingang zu einer in 1700 Meter Höhe gelegenen Aufzugsöffnung zu erreichen.
Enttäuscht machte er sich auf den Rückweg ins Labor. Kurz bevor er wieder in den Hauptgang einbog, hörte er ein dumpfes Klopfen.
Grao’sil’aana lauschte. Das Klopfen klang irgendwie hölzern und erfolgte in unregelmäßigen Intervallen, etwa alle drei bis vier Sekunden. Diese Unregelmäßigkeit war es, die den Daa’mure alarmierte. Er folgte den Geräuschen.
Lange musste er nicht suchen. Das eigenartige Klopfen drang aus einem breiten Gang. Hier herrschte ein intensiver Gestank: nach Exkrementen, Erbrochenem, Eiter und Verwesung. Leuchtleisten im Winkel zwischen Decke und Wand verbreiteten ein flirrendes Dämmerlicht. Türen im eigentlichen Sinne gab es nicht – zahlreiche winzige Kammern waren nur durch stabile Stahlgitterroste vom Gang getrennt. Als Grao hineinleuchtete, fiel der karierte Lichtkegel auf reglose Gestalten, die am Boden oder auf Pritschen lagen.
Es war ein Gefängnistrakt!
***
Jamaika, eine Stunde vor dem Einschlag
Gemeinsam mit Pedró half Xij, die letzten Kranken aus dem Hospital auf die Ladefläche eines Landrovers zu schaffen. Sie wollte unbedingt mit anpacken, während sich Matt und Takeo um die Logistik kümmerten. Matthew war durch den gerade verheilten Schlangenbiss noch immer leicht gehandicapt; außerdem wollten er und Miki als schnelle Eingreiftruppe in der Nähe des Shuttles bleiben.
Während ihrer gemeinsamen Tour durch die Hauptstadt hatte sich Xij mit Pedró angefreundet. Der sympathische Chaymacaner mit den schilfgrünen Augen hatte schnell gemerkt, dass Matts Gefährtin keinen guten Eindruck von Juliano Dorgecà gewonnen hatte. So hatte er ihr in den vergangenen Stunden allerhand über den Gouverneur und das Barackenlager vor der Stadt erzählt.
Keine auswärtigen Landarbeiter lebten dort, sondern Sklaven, die wie Vieh in der bewachten Anlage gehalten wurden. Zur Fronarbeit auf den Zuckerrohrfeldern verdammt. Der machtbesessene Regent hatte in der Vergangenheit dafür gesorgt, Kingston das Monopol an den Zuckerrohrplantagen zu sichern. Eine nicht versiegende Geldquelle: Aus dem kostbaren Rohstoff wurde Sprit für Wasser- und Landfahrzeuge gewonnen. Pedró hatte läuten hören, das zukünftige Ziel des Despoten sei es, sich auch im Norden der Insel breitzumachen. Von dort aus wollte er wohl die Nachbarinsel Kuba mit dem Treibstoff beliefern.
Xij Hamlet hatte diese Information nicht weiter überrascht. Dennoch beschlich sie ein mulmiges Gefühl, als sie daran dachte, wie Juliano Dorgecà sich nach dem Shuttle erkundigt hatte. Irgendetwas brütete der Kerl aus. Nur was?
Aufmerksam beobachtete Xij ihre Umgebung. Die Straßen der Hauptstadt waren inzwischen menschenleer. Bis auf die Kranken im Rover waren die Bewohner bereits zu den Bergen aufgebrochen. Eigentlich war alles
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