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33 - Am Stillen Ozean

33 - Am Stillen Ozean

Titel: 33 - Am Stillen Ozean Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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daß du einen einzigen Rubel bekommst.“
    Ein kurzes Lachen erklang.
    „Wir haben einander gegenseitig in den Händen, Herr.“
    „Wem wird man glauben, dir oder mir?“
    „Mir, denn ich bin im Besitze der Beweise: ich habe alle Ihre Zuschriften aufbewahrt.“
    „Schurke! Habe ich dir nicht befohlen, sie stets zu vernichten?“
    „Der Mensch ist schwach, Herr, und Sie sind gütig; Sie werden mir sicher den kleinen Ungehorsam verzeihen!“
    Der Hohn, mit welchem diese Worte gesprochen wurden, war nicht zu verkennen. Wo hatte ich diese Stimme nur schon einmal gehört? Auch die schlanke, kräftig geschmeidige Gestalt kam mir so vor, als ob ich sie bereits einmal gesehen hätte, aber als ich jetzt bei einer Wendung des Mannes sein Profil erblickte, kam mir das vollbärtige Gesicht mit dem dunklen Zigeunerteint, welches von langen, schwarzen Korkzieherlocken umwallt wurde, vollständig unbekannt vor.
    „Du wirst sie nachträglich vernichten!“ verlangte der Offizier.
    „Vielleicht. Vielleicht auch verkaufe ich sie!“
    „An wen?“
    „An denjenigen, der am meisten dafür bezahlt.“
    „Kerl, nimm dich in acht, daß ich dich nicht fasse!“
    „Das würde zu nichts Klugem führen, Herr. Verständigen wir uns lieber! Wenn Sie für Wandas Engagement tausend Rubel zahlen, verbrenne ich die Papiere.“
    „Gut, ich zahle sie; aber ich will die Papiere selbst verbrennen.“
    „Zugestanden. Also tausend, jetzt gleich!“
    „Ich habe nur sechshundert mit. Hier sind sie. Hole dir heut abend das übrige.“
    „Danke, Herr! Das gibt mir die Mittel in die Hand, dafür zu sorgen, daß ich nicht erkannt werde. Wohin werden Sie Wanda schicken?“
    „Sie bleibt in ihrer gegenwärtigen Stellung, wo sie am besten für mich arbeiten kann. Jetzt gehe. Hier ist der Schlüssel zur Gartenpforte. Bei den Eichen treffen wir uns um ein Uhr.“
    „Ich komme, wenn es mir gelingt, in die Stadt zu gelangen, ohne daß ich angehalten werde.“
    „Man erkennt dich nicht. Hätte doch sogar ich dich beinahe für einen Fremden gehalten. Du konntest sofort in die Stadt gehen und hattest nicht nötig, mich erst hierher zu bestellen.“
    „Ich mußte vorher wissen, ob mir die Entstellung gelungen ist. Daß Sie mich nicht erkannten, gibt mir die Gewißheit, daß ich mich nicht zu sorgen brauche.“
    Er ging. Er mußte hart an mir vorüber und wendete mir dabei das volle Gesicht zu. Jetzt war es mir allerdings, als hätte ich dieses Gesicht mit der scharfen, so wenig russischen Nase und den großen, dunklen Augen bereits einmal gesehen. Wo und wann es aber gewesen war, das wollte mir nicht einfallen.
    Auch der Rittmeister ging; er wandte sich dem Flüßchen zu, dessen Wellen ich unweit meines Standortes durch die Büsche schimmern sah. Ich kehrte unbemerkt nach der Gostinnitza zurück, wo ich dem Wirt bedeutete, daß er dem Offizier nicht sagen solle, es sei ein Fremder dagewesen. Ein Na-Wodki machte ihn geneigt, mir diesen Wunsch zu erfüllen, und noch ehe der Rittmeister zurückgekehrt war, sauste unsere Troika wieder auf der Straße dahin.
    Das Gehörte gab mir viel zu denken. Ich hatte zwei Verbrecher belauscht, Verbrecher sehr schlimmer Sorte, obgleich der eine den höheren Ständen angehörte. Ein Menschenschacher im eigentlichen Sinne des Wortes war es nicht gewesen, was sie getrieben hatten, denn nur die Schlauheit und Gewandtheit dieser Wanda sollten dem Rittmeister auf ein Jahr gehören. Wozu? Ging mich diese Angelegenheit etwas an? Ja oder nein, sie mußte mich doch lebhaft interessieren, da der Offizier den Namen meines Freundes trug.
    Inzwischen sang der Kutscher eines seiner Lieder nach dem andern, und ich konnte nicht umhin, ihnen meine Aufmerksamkeit zuzuwenden. Das Volkslied hat für Rußland eine größere, eine tiefere Bedeutung als für andere Länder. In Rußland ist das Lied das einzige Moment der geistigen Entwicklung. Es besteht in dem ‚heiligen Reich‘ eine gewisse traditionelle Poesie, welche die Vergangenheit, die Sitten, die Leidenschaften, die Anschauungen des Volkes in treuen Zügen widerspiegelt. Ohne diese reiche und belebende Quelle würde die Geschichte des Volkes zu einer trockenen Aufzählung seiner kriegerischen Erfolge und Unfälle zusammenschrumpfen und uns über die eigentlichen und wesentlichen Triebfedern seiner Kraftäußerungen im dunkeln lassen.
    Nun erhob sich Moskau vor uns mit seinen sechzehnhundert Türmen und sechzehntausend Häusern. Ich fuhr nach der Maraseka und stieg im ‚Hotel

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