33 - Am Stillen Ozean
Petersburg‘ ab. Die Familie Semenoff wohnte in derselben Straße. Ich schickte meine Karte hin, und kaum war der Bote wieder zurück, so hörte ich eilige Schritte, die Tür wurde rasch geöffnet, und Iwan trat ein. Ich sah es ihm an, daß er sich über meine Anwesenheit freute.
„Ist möglich! Sie hier in Moskau? Willkommen, herzlich willkommen! Aber warum sind Sie im Gasthof abgestiegen?“
„Nehmen Sie mir das übel?“
„Gewiß! Sie gehören doch nicht in das Hotel, sondern zu mir. Kommen Sie; ich werde Sie sofort meinem Mütterchen vorstellen!“
Ich mußte mit. Im Gegensatz zu Petersburg, wo in den schnurgeraden Straßen die Häuser militärisch gleichmäßig in Reih und Glied aufgestellt sind, als ob sie jeden Augenblick bereit sein müßten, eine Schwenkung nach links oder rechts zu machen, ziehen sich in Moskau fast alle Paläste und Häuser, welche etwas für sich bedeuten wollen, aus der ohnehin unregelmäßigen Straßenlinie möglichst weit zurück und schieben aus dieser Entfernung ein Gitter oder eine Verzäunung vor, durch welche der Vorplatz von der Straße abgeschlossen wird.
Etwa der vierte Teil aller Häuser in Moskau besteht aus solchen Rückzugsgebäuden, und auch dasjenige der Semenoff war ein solches. Es war die Nachahmung eines venezianischen Palastes, die allerdings nicht recht gelungen erschien.
Iwan führte mich ohne Umstände in das Zimmer der Baroneska. Diese war sehr einfach in Schwarz gekleidet und empfing mich mit jener freundlichen Ungezwungenheit, welche von der oft beleidigenden Herablassung sich möglichst fernzuhalten weiß. Sie stammte aus einem alten polnischen Geschlecht und gehörte nicht der griechischen, sondern der römischen Kirche an, wie ich bereits wußte. Der klare, offene Blick ihrer blauen Augen harmonierte ganz mit der milden Würde, in der sie sich zu geben wußte, und als ich ihre kleine weiße Hand mit den Lippen berührte, wußte ich bereits, daß ich sie liebhaben würde.
„Matiuschka, hier bringe ich ihn“, meinte Iwan. „Bestrafe du ihn, daß er nicht sofort bei uns vorgefahren ist!“
„Die Strafe wird sehr hart sein“, sagte sie lächelnd. „Ich bin gezwungen, Sie zu einer sehr langen Haft zu verurteilen. Was wählen Sie, Isolier- oder Kollektivsystem?“
„Ich möchte mich für das letztere entscheiden, meine Gnädige.“
„Gut! Dann werden Sie diese Haft hier in unserm Haus verbringen und so lange gefangen bleiben, bis Sie gebessert sind.“
„Also Besserungssystem mit bedingter Beurlaubung?“
„Allerdings. Iwan mag die Aufsicht führen, er hat Zeit dazu, da er für einige Wochen aus Petersburg entlassen ist.“
„Ja“, meinte er, „Sie sind zur glücklichen Stunde gekommen. Zur andern Zeit hätte ich die Karambolage versäumt, mit denen Sie sich Ihre Gefangenschaft jedenfalls erleichtern werden.“
Er war noch der Alte – als leidenschaftlicher Billardspieler mußte er im ersten Augenblick von der Karambolage sprechen, und wirklich hatte ich mich kaum fünf Minuten mit der Dame des Hauses unterhalten, so entführte er mich nach dem Billardzimmer.
„Ich muß sehen, ob Sie ebenso in Übung geblieben sind wie ich. Wir standen uns stets gleich, jetzt aber möchte ich wetten, daß ich über Sie hinausgewachsen bin. Hier sind die Queues; oder wollen wir eine Partie zu drei versuchen?“
„Wer ist denn der dritte?“ fragte ich.
„Eine Dame.“
„Ah!“
„Ja, die Gesellschafterin meiner Mutter, ein sehr anständiges, ich möchte sogar sagen, feines Mädchen, ernst, fromm, still, sehr unterrichtet, spricht russisch, polnisch, französisch und deutsch und – spielt ausgezeichnet Karambolage und Dreikegelpartie. Mutter hält große Stücke auf sie, und auch ich achte sie sehr. Ich begehe also wohl keinen faux pas, wenn ich sie Ihnen vorstelle.“
Er ging zur Klingel und schellte. Ein Diener erschien.
„Ich lasse Fräulein Wanda fragen, ob ihr eine Partie gefällig ist!“
Wanda? Dieser Name berührte mich eigentümlich. Ich stand am Fenster. Unten lenkte ein Reiter nach dem Tor. Es war der Dragonerrittmeister, den ich belauscht hatte.
„Wer ist dieser Offizier?“ fragte ich Iwan.
„Cousin Casimir“, antwortete er in auffällig kaltem Ton.
„So wird wohl eine Partie zu vieren fertig?“
„Nein. Ich verkehre so wenig wie möglich mit ihm, obgleich er einige Appartements unseres Hauses bewohnt. Wir sind einander fast mehr als unsympathisch. Aber hier ist Fräulein Wanda!“
Ich drehte mich um. Iwan beeilte
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