33 - Am Stillen Ozean
erreichten eine Brotfruchtpflanzung, die uns gute Deckung gewährte, und bald gelangten wir zu einer Anhöhe, von welcher aus wir das ganz nahe gelegene Tamai überblicken konnten. Wir bemerkten sogleich, daß sich der Ort in außerordentlicher Bewegung befand. Am Strand des Meeres lagen die Boote der vor uns angekommenen Flottille; vor einem durch seine Größe sich auszeichnenden Haus, bis an dessen hintere Wand sich ein Bambusfeld zog, bewegte sich eine große Menge Menschen, und nicht weit von uns, grad unter der Berglehne, an welcher wir lagen, stand ein mit Palmenblättern und Blumen geschmückter Altar, dessen Hintergrund zwei Götzenbilder, jedenfalls den Atua und den Oro bedeutend, einnahmen und an welchem vermutlich die Zeremonie vor sich gehen sollte.
„Was wirst du tun, Potomba?“ fragte ich den Ehri.
„Ich werde warten, bis sie am Altar stehen, und mir dann Pareyma holen.“
„Das wird dir nicht gelingen.“
„So hole ich sie vom Boot, wenn Matemba mit ihr nach Hause fährt.“
„Wann wird dies geschehen?“
„Heut grad um Mitternacht; so gebietet es die Lehre der Götzendiener.“
„Wem gehört das große Haus da drüben?“
„Es ist das Eigentum des Priesters.“
„Welche Gemächer bewohnen die Frauen?“
„Pareyma war stets hinten nach der See zu.“
„Hat sie noch die Mutter oder Schwestern?“
„Nein. Ihre Mutter ist längst tot; sie ist das einzige Kind des Priesters.“
„Man wird sie zur Hochzeit schmücken?“
„Ja, und dann läßt man die Braut allein, damit sie mit den Göttern sprechen soll.“
„Der Priester weiß, daß du heut zurückgekehrt bist!“
„Wer sagte es dir?“
„Niemand. Siehst du nicht den Mann, welcher zwischen dem Haus und dem Bambus auf und ab geht? Er hat eine Keule in der Hand und soll dein Weib bewachen. Das ist ein Zeichen, daß sie gezwungen worden ist und nicht freiwillig nach Eimeo ging.“
„Ich wußte es! Der Ehri von Tahiti fürchtet die Leute von Eimeo nicht; er wird sein Weib öffentlich zurückverlangen!“
Ich kannte die hiesigen Verhältnisse nicht und hielt es also für das beste, ihn seinen eignen Entschlüssen folgen zu lassen, doch nahm ich mir vor, ein wenig zu rekognoszieren. Der Präriejäger regte sich in mir; ich legte meine Gewehre neben Potomba hin, benachrichtigte ihn von meinem Vorhaben und schlich mich an der Seite des Berges hinab bis an das Bambusfeld. Hunde oder andere Vierfüßler hatten schmale Bahnen durch dasselbe getreten. An der Erde fortkriechend, bewegte ich mich auf einem solchen Pfad vorwärts und gelangte so ganz unbemerkt in die nächste Nähe des Hauses. Da ertönte eine halblaute, liebliche Frauenstimme:
„Te uwa to te malema,
Te uwa to hinarro –“
Es war jene rührende Liebesklage, welche ich früher von den Frauen und Mädchen der Pelew-Inseln hatte singen hören, und es ahnte mir, daß die Sängerin keine andere sei als Pareyma. Sofort regte sich das Verlangen in mir, mit ihr zu sprechen. Dieses Wagnis konnte zwar unangenehm für mich ausfallen, aber ich hatte mein Messer und die Revolver bei mir, und für den braven Ehri konnte man sich schon einer kleinen Gefahr aussetzen.
Ich schob mich also vollends bis an den Rand des Feldes. Der Posten kam herbei und ging, ohne mich zu bemerken, obgleich es am hellen Tag war, an mir vorüber. Im Nu stand ich hinter ihm und schlug ihm die Faust so auf den unbedeckten Schädel, daß er besinnungslos zur Erde sank. Jetzt trat ich an die Bambuswand des Hauses, hinter welcher die Stimme erscholl. Ich mußte einige Minuten lang suchen, ehe ich eine kleine defekte Stelle bemerkte, durch welche ich in das Gemach blicken konnte.
Wenn das junge Weib, welches ich erblickte, wirklich Pareyma war, so konnte ich die Liebe begreifen, welche Potomba für sie hegte. Sie stand jetzt nach beendetem Gesang mitten in dem Raum, und ein unaufhaltsamer Tränenstrom floß ihr über die Wangen. Sie war eine schlanke Gestalt, noch voll Jugendfrische, wie man trotz des Herzeleids sah, welches ihren Körper erbeben machte. Ihre schönen, dunklen Augen waren umflort, ihre scharf geschnittenen Brauen fest zusammengezogen und ihre feinen Lippen geschlossen. Nicht eine einzige Blume oder irgendein Tand war in ihren Haaren oder an ihrer Gestalt zu bemerken; ja, sie schien sogar die Kleidung und die Stoffe verschmäht zu haben, welche man den Europäern ablauscht und abtauscht, um die äußere Erscheinung vermeintlich zu verschönern. Ein Parau von weicher, gelbbrauner Tapa,
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