33 - Am Stillen Ozean
weit es bis Canton ist und wann wir dort ankommen, das ist mir sehr egal, denn wir haben Zeit. Der Steuermann hat seine Instruktion und er wird mich vertreten, so lange ich abwesend bin. Übrigens können wir uns ja von einem Dampfer ins Schlepptau nehmen lassen, wenn wir rasch vorwärts kommen wollen. Verstanden, Charley?“
„Vollständig. Aber wenn wir wirklich Land und Leute miteinander kennenlernen wollen, so möchte ich am liebsten gleich in Hongkong anfangen, das uns doch am nächsten liegt.“
„Habt recht, vollständig recht. Und so mag uns dieser Mann zunächst da hinüberfahren.“
Ich mietete den Chinesen für drei Tschuns, also ungefähr eine Mark täglich; dann stiegen wir ein und ließen uns in die Stadt fahren.
Hongkong wurde von den Engländern als Ort ihrer Niederlassung mit jenem praktischen Scharfblick gewählt, welcher dem britischen Inselvolk so sehr zu eigen ist. Die Insel, auf deren Nordseite es liegt, ist sehr gebirgig und hat ungefähr achtzehn bis zwanzig englische Meilen im Umfang. Die Lage dieser Insel gewährt dem geräumigen Hafen den Vorteil zweier Eingänge, die sich gegenüberliegen, so daß also beinahe bei jedem Wind gefahrlos eingelaufen werden kann. Das Wasser des Hafens ist so tief, daß Schiffe von fünfzehn Fuß Tiefgang in ganz geringer Entfernung vom Land ankern können. Ein weicher, zäher Lehmboden gibt ausgezeichneten Ankergrund bis dicht an die Küste, und die hohen Berge, welche das Hafenbassin umgeben, gewähren guten Schutz gegen die hier so häufigen Herbst- und Winterstürme.
Wir spazierten miteinander durch die Straßen der chinesischen Stadt. Sie waren meist schmutzig, stinkend und kloakenhaft. Wir fanden enge, dunkle Gassen und Gäßchen, in denen sich eine nicht sehr appetitlich aussehende Bevölkerung hin und her drängte, kleine Bambushäuschen, deren unteres, offenes Stockwerk meist als Verkaufslokal dient, dahinter ein paar finstere Gemächer und eine schmale Treppe, die nach oben führt, wo die etwas vorspringenden Schlafgemächer sind. Die Läden sind nach ihrer ganzen Breite hin offen und gestatten einen Blick in das innere Familienleben.
Hier sieht man einen Schuster jene Seidenzeugschuhe verfertigen, deren Sohlen aus einem sehr starken Filz bestehen; dort gibt es einen Lackierer, welcher Täßchen fertigt, deren mehrfacher Lacküberzug ein ganzes Jahr zu trocknen hat. Daneben ist der Laden eines Geldwechslers, der mit seinem Suan-pan (Rechenmaschine) so schlau umzugehen versteht, daß es großer Aufmerksamkeit bedarf, nicht von ihm betrogen zu werden. Ihm gegenüber arbeitet ein Schneider, grad so auf seinen untergeschlagenen Beinen hockend wie unsere einheimischen ‚Tailleurs‘; dieses Genus besitzt ja überhaupt in allen Erdteilen eine unleugbare Familien-Ähnlichkeit. In seiner Nähe gibt es eine Garküche, deren Speisezettel nach den zur Schau liegenden Früchten, Gemüsen und Fleischsorten ein sehr reichhaltiger sein muß, und in der Nähe dieses verführerischen Ortes treibt sich eine ganze Menge jener geflügelten, pfiffigen Spitzbuben herum, welche in der alten Welt allüberall und seit einiger Zeit auch bereits in der neuen Welt zu finden sind. Der Türke nennt sie Muhassil-Baschi, der Chinese ruft sie Kia-niao-eul, und der Deutsche kennt sie als Herr Spatz und Madame Sperlingin. Ich gestehe offen, daß ich mich über den Anblick dieser laut zirpenden und räsonierenden Wegelagerersippe herzlich freute; es waren ja ‚Heimatklänge‘, wenn auch nicht – von Gungl.
Vor dem Laden des Geldwechslers machte der Kapitän halt.
„Was meint Ihr, Charley; werden wir einzelnes Geld brauchen?“
„Allerdings.“
„So wollen wir uns jeder einen Dollar umwechseln lassen?“
„Mir recht. Kommt herein!“
„Laßt mir den Vortritt!“
Er trat ein, musterte den Laden mit einer höchst unternehmenden Miene und fragte dann:
„Guteng Taging! Könnung mir wechsangeln einang Dollering?“
Er griff dabei in die Tasche und zog das genannte Geldstück hervor.
„Sie wünschen Cash für einen Dollar, Sir?“ fragte da der Wechsler in einem sehr geläufigen Englisch.
Frick Turnerstick trat überrascht einen Schritt zurück.
„Englisch! Ein Chinese und Englisch! Alle Wetter, wozu lernt man denn eigentlich Chinesisch? Habe ich etwa dieses Kang-keng-king-kung-kong studiert, nur um mich hier englisch anreden zu lassen? Gebt Eure Scheidemünze her, und dann sind wir miteinander fertig!“
Der Wechsler wußte wahrhaftig nicht, wie ihm geschah,
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