33 - Am Stillen Ozean
der Unparteilichkeit, mit welcher sie vorgenommen wurden. Jetzt aber ist dies anders – sie sind ausgeartet. Die Korruption hat in China nichts verschont und auch die Examina, die Examinatoren und – die Kandidaten ergriffen. Die Gesetze und Vorschriften sind allerdings sehr streng, und jede Willkür soll unmöglich gemacht werden, damit es sich herausstelle, was der zu Prüfende wirklich gelernt hat; aber das Geld ist mächtiger als alle Verbote und Vorkehrungen. Dem Reichen ist es sehr leicht möglich, bei den mündlichen Prüfungen die Themata im voraus zu erfahren, und, was das allerschlimmste ist, die Stimmen der Examinatoren sind dem Meistbietenden feil. Und noch weiter: ist es dem Reichen ja nicht möglich, sein Thema vor dem Examen zu erfahren, so mietet er sich irgendeinen armen Gelehrten, der dann seinen Namen annimmt, an seiner Statt das Examen macht und sich für ihn das Zeugnis ausstellen läßt. Und dies geschieht so offen, daß die Chinesen für einen auf solche Weise Graduierten die Bezeichnung ‚Bakkalaureus, der hinter dem Reiter sitzt‘ erfunden haben. Sogar Abwesende können das Examen, welches in diesem Falle ein schriftliches ist, bestehen, wenn sie gehöriges Geld oder nachhaltige Protektion besitzen; sie schicken eine Dissertation ein, deren Thema sie sogar selbst wählen dürfen.
Vielleicht hatte Kong-ni seine Würde auch in dieser letzteren Weise erlangt, und warum sollte ganz dasselbe nicht auch mir möglich sein?
Außer den obigen Betrachtungen drängte sich mir seine Warnung auf. Daß ich mich vor den Flußpiraten hüten sollte, konnte ich sehr leicht begreifen; warum aber auch vor den Kuang-ti-miao, vor den Tempeln des Kriegsgottes? Er hatte mir auf diese Frage nur geantwortet: ‚Das wirst du erfahren.‘
Dieser Kuang-ti ist, sozusagen, der chinesische Mars. Er stammt aus der Provinz Sse-tschuen, deren Bewohner auf diese Landsmannschaft außerordentlich stolz sind, und lebte im dritten Jahrhundert unserer Zeitrechnung. Er war ein ausgezeichneter Krieger, erfocht zahlreiche Siege und machte seinen Namen so berühmt, daß derselbe noch heute im ganzen Reich eine außerordentliche Popularität besitzt. Die Chinesen erzählen von ihm viele Sagen; sie behaupten, er sei gar nicht gestorben, sondern zum Himmel gefahren und dort unter die Götter versetzt worden. Nun sei er Gott des Krieges.
Die Mandschu-Dynastie hat ihn bei ihrer Thronbesteigung in feierlicher Weise zum Gott erklärt und zum Schutzgeist ihres Herrscherstammes erhoben. Die Regierung ließ ihm in allen Provinzen Tempel erbauen, in denen er sitzend abgebildet ist: zur Linken sein Sohn Kuang-pin, vom Kopf bis zum Fuß bewaffnet, und zur Rechten sein getreuer Stallmeister, der sich auf ein breites Schwert stützt und eine möglichst fürchterliche Miene macht, um aller Welt Angst und Schrecken einzuflößen.
Der Kultus dieses Kuang-ti gehört zur amtlichen Staatsreligion. Das indifferente Volk bekümmert sich ebensowenig um diesen Mars wie um die buddhistischen Gottheiten. Seine Tempel werden, gerade wie die ihrigen, zwar von dem gewöhnlichen Mann besucht, aber nicht etwa zum Zweck der Anbetung, sondern aus ganz anderen Gründen. Man übernachtet da; man hält feil, arrangiert da Familien- und andere Feste und macht es sich so bequem wie in jedem andern Haus. Aber die Beamten, besonders die Militärmandarinen, müssen an bestimmten Tagen diese Miao (Tempel) besuchen, dort vor dem Bild des Götzen auf die Knie fallen und dabei duftende Tsan-hiang verbrennen. Die Mandschu haben wohl, als sie diesen Kultus einführten, dabei politische Zwecke verfolgt; er ist ihnen ein Mittel, um Einfluß auf die Soldaten zu üben, und darum haben sie auch die Sage verbreitet, daß Kuang-ti in allen Kriegen, welche die Dynastie geführt hat, sich leiblich habe blicken lassen. Er hat da über ihrem Heer in den Lüften geschwebt und ihnen stets den Sieg verliehen.
Und jetzt sollte mir dieser brave Götze gefährlich werden? Vielleicht weil ich ein Tao-dse und kein Mandschu war!
Was die Lung-yin, die ‚Drachenmänner‘ betrifft, so hatte ich über dieselben bereits sehr viel gehört und gelesen. Chinesische Seeräuberdschunken hat es zu allen Zeiten gegeben und gibt es auch noch heute. Diese Räuber auf offener See sind ein mutiges Volk, noch verwegener aber sind die Flußpiraten, welche in denjenigen fließenden Gewässern Chinas, an denen bedeutende Städte liegen, ihr verbrecherisches Wesen treiben. Sie vollführen ihre
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