33 - Am Stillen Ozean
vernachlässigen. Sie reden chinesisch ungefähr so, wie ein Indianer englisch spricht; man kann sie nicht verstehen.“
„Aber ich verstehe sie doch!“
„Ja, wie Ihr das fertigbringt, das ist mir ein Rätsel! Es müßte denn sein, daß Ihr den Fehler begangen hättet, mich das Chinesische nicht verstehen, sondern bloß sprechen zu lehren.“
Bei jedem neuen Gang sagte mir der Tscha-juan, was es sei, und fragte mich, wie es uns schmecke. Ich mußte ihm erklären, wie dieselbe Speise in unserer Heimat zubereitet wird, und fand überhaupt, daß er ein sehr wohl unterrichteter und wißbegieriger Mann sei. Ich mußte ihm von meinen Reisen erzählen; er war in der Länder- und Völkerkunde bewanderter, als man von Chinesen gewöhnlich anzunehmen pflegt, und interessierte sich lebhaft für alles, was ich ihm berichtete, und gestand schließlich:
„Du hast so viel gesehen und erlebt, aber in Schin-ton (China) wird dir kein Abenteuer passieren. Das Land und das Volk sind zu nüchtern dazu.“
„Und doch habe ich bereits ein solches erlebt, und zwar ein ganz und gar großes und interessantes.“
„Willst du es mir erzählen? Du bist erst so kurze Zeit hier und willst schon etwas erlebt haben, was mir selbst vielleicht noch nicht vorgekommen ist!“
„Du sagst, dieses Land sei zu nüchtern für ein Abenteuer. Denke nur an die Lung-yin, und du wirst zugeben, daß es hier genug Gelegenheit zu interessanten Erlebnissen gibt.“
„Die Lung-yin? Bist du vielleicht bereits mit einem von ihnen zusammengekommen?“
Sein Gesicht hatte einen eigentümlichen, mehr als gespannten, ich möchte sagen, aushorchenden Ausdruck angenommen.
„Allerdings.“
„Wann?“
„Gestern.“
„Und wo?“
„Auf dem Fluß.“
„Wie geschah dies?“
„Sie nahmen mich und meinen Freund gefangen und schafften uns nach einem Kuang-ti-miao.“
„Und haben euch wieder freigegeben?“
„Freiwillig nicht; wir haben sie dazu gezwungen.“
„Das ist unmöglich!“
„Es ist möglich, denn du siehst mich hier bei dir.“
„Das ist viel; das ist stark; das ist außerordentlich! Die Lung-yin haben noch niemals einen Gefangenen ohne Lösegeld freigegeben.“
„Ich habe ihnen sogar eine gefangene Holländerin abgenommen, welche ich in dem Kuang-ti-miao fand.“
„Wie viele waren es ihrer?“
„Dreißig ungefähr.“
„Dann hast du sie nicht durch bloße Gewalt zu zwingen vermocht, sondern dich noch eines besonderen Mittels bedient. Ich schenke dir immer mehr Teilnahme. Willst du die Güte haben, mir deinen Namen zu nennen?“
„Ich wurde hier Kuang-si-ta-sse genannt.“
Er sprang überrascht vom Sessel empor.
„Kuang-si-ta-sse! Kennst du ein Nian-yan-kui-dse?“
Ich erstaunte. Er kannte meine Ausarbeitung: ‚Geschichte der Teufel aus den westlichen Meeren‘.
„Ja.“
„Und ein Pen-tsao-y-jin?“
„Ja.“
„Und ein Hio-thian-ti?“
„Ja.“
„Und du bist es, der diese drei Werke geschrieben hat?“
„Ich bin es.“
„Jetzt weiß ich ganz genau, warum du den Lung-yin entkommen bist!“
„Sage es!“
„Das Zeichen, welches dir Kong-ni gegeben hat, hat dich aus der Gefangenschaft errettet.“
Mein Erstaunen wuchs.
„Kennst du Kong-ni?“ fragte ich.
„Ich kenne ihn. Du hast ihm das Leben gerettet, und er hat es mir erzählt, denn er besuchte mich, sobald er nach Kuang-tscheu-fu zurückkehrte. Auch deine Arbeiten gab er mir zu lesen. Ich mußte sie sehen, denn ich gehöre zu den Kao-pan-sse und habe sie mit zu prüfen.“
Das war mir außerordentlich. Ich erkundigte mich:
„Sind sie bereits geprüft?“
„Von mir und noch einem.“
„Was wird der Erfolg sein?“
Er lächelte leise.
„Ganz derselbe, den dir Kong-ni gesagt hat. Sein Vater ist mächtig im Reich, obgleich er vom Kaiser die Erlaubnis erhalten hat, sich auszuruhen. Er ist in unserer Provinz der Oberste der Prüfungen und kann den Grad erteilen, ohne vorher beim Ly-pu anzufragen. Er wird aus deinen Arbeiten sehen, daß du ein großer Gelehrter bist, und dich zum Tsia-sse machen, wenn du ihm gehorchst.“
„Ihm gehorchen? In welcher Angelegenheit?“
„Das wird er dir selbst sagen. Er schickt dann deine Schriften dem Ly-pu nur zur Ansicht, und dann werden sie im Wen-tschang-kun niedergelegt. Du bist ein Fremder, aber es kommt ganz auf dich an, ob du ein Ta-kueng-fu werden willst. Dann wirst du mächtig sein und brauchst nicht in dein Land zurückzukehren, wo du Bücher schreiben mußt, wenn du nicht hungern willst.“
Eine
Weitere Kostenlose Bücher