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33 Cent um ein Leben zu retten

Titel: 33 Cent um ein Leben zu retten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louis Jensen
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wieder zu der sich drehenden Mühlenkappe hinaufsah, ging mir auf einmal ein Gedanke durch den Kopf: War ich wie der Ritter, wie Don Quijote? Er kämpfte doch gegen etwas, was es nur in seiner Fantasie gab. Das, von dem er sich einbildete, es seien Riesen, waren nur unschuldige und fleißige Mühlen, die sich drehten, um Korn in nützliches und nahrhaftes Mehl zu verwandeln. In Nahrung.
    War ich auch so? Waren meine Diebstähle in der Einkaufsstraße und beim Richter und der letzte Diebstahl des Kühlwagens ebenfalls alles zusammen vergeblich und nutzlos? Etwas, von dem ich mir nur einbildete, es könne den Kindern in Afrika helfen? Und als mir dieser Gedanke und noch ähnliche durch den Kopf gingen, fiel mir wieder die Frau in der Einkaufsstraße ein, die mich eigentlich doch ausgelacht hatte, indem sie mir erklärte, wie töricht und vergeblich mein Sammeln sei. Ich sah die bläulichen Haare und die grauen Augen und ihr höhnisches Lächeln vor mir, und bedrückt und unsicher sank ich immer tiefer in den Sitz.
    War ich auch so ein lächerlicher Ritter? Einer, der nicht begriff, worum das Ganze ging, und stattdessen in seiner eigenen Fantasiewelt lebte? Einem Ort, an dem der Kontakt zu dem, was real existierte, gekappt war?
    Mich schauderte, ich beugte mich vor, legte den Kopf auf das Steuer und seufzte laut. Ich stöhnte, stell dir vor, ich fing an zu stöhnen.
    Anne nahm meinen Kopf, zog ihn an sich und strich mir übers Haar. Sie sagte nichts. Bald darauf hob ich den Kopf, sah wieder zu der sich drehenden leuchtenden Mühlkappe und danach zu Anne.
    Überall im Hotel hingen Gemälde und Fotos von Don Quijote. Gemälde von ihm auf seinem mageren Pferd. So eins nennt man Klepper. Er sah wirklich zum Lachen aus. Auf dem Kopf trug er einen sonderbaren Helm, und jetzt fiel mir noch mehr von Herrn Olsens Erzählung wieder ein. Der Helm war das Rasierbecken eines Barbiers, also eine Art Waschschüssel. Aber er sah stolz aus. Und trotzig. In seinen Augen glühte ein Feuer, er hatte große Aufgaben vor sich, und er tat das alles, um eine bessere Welt zu schaffen, aber auch um seiner Geliebten willen. Sie hieß Dulcinea, war ein Dienstmädchen. Aber in Don Quijotes Fantasie war sie eine wundervolle Prinzessin.
    Bei jedem Bild versank ich immer tiefer in eine wunderliche, schmerzliche Verzweiflung. Das war ja ich. Das war genau ich. So war ich: außerstande, die reale Welt zu sehen, eingeschlossen in meine eigenen Fantasien. Aber, sagte ich verzweifelt zu mir, Anne ist nicht Dulcinea. Sie war schön und zart. Sie hatte ich in meinen Gedanken nicht verwandelt. Sie war so, wie ich sie mir vorstellte: schön, klug, freundlich und immer bereit, mir zu helfen.
    Ich konnte nicht schlafen.
    »Was ist denn?«, fragte Anne.
    Ich sagte nichts. Ich schämte mich vor mir selbst. War verlegen über das, was ich getan hatte und in das ich Anne hineingezogen hatte. Ich beschloss zurückzufahren. Sollte ich sofort aufstehen?
    Anne ließ nicht locker. Am Ende sagte ich es ihr. Ich erzählte ihr von Herrn Olsens Geschichte von Don Quijote und wie, aber das war schwer, wie ich mich plötzlich, wie ich mich in dem Ritter wiedererkannt hatte, entsetzlich.
    »Aber du«, sagte ich, »du bist nicht Dulcinea.«
    »Nein?«, sagte Anne. Sie hielt die ganze Zeit meine Hand.
    Sie war still.
    Ich war still, sie drückte meine Hand. Am Ende sagte sie: »Du bist nicht wie er. Da irrst du dich. Du kennst die Wirklichkeit ganz genau. Ist es nicht wirklich so, dass in diesem Moment in Afrika Kinder sterben? Ja, auch an vielen anderen Orten. Das, das ist die Wahrheit.«
    Ich sagte nichts. Aber eine Freude stieg in mir auf. War ich doch keiner, der gegen Windmühlen kämpfte?
    »Es stimmt«, fuhr Anne fort, »dass es nicht viel hilft, was du tust. Es sind doch viel zu viele, die hungern und krank sind. Es stimmt, dass man ganz und gar verzweifeln möchte, weil es absolut unbegreiflich ist, wie entsetzlich viele sterben. Und zwar die ganze Zeit. Aber das bedeutet doch nicht, dass das, was du tust, gleichgültig ist. Wenn alle wie du handelten, gäbe es bald keine Kinder mehr, die sterben. Also: Was du tust, ist richtig. Lass sie sagen und denken, was sie wollen. Lass sie alle möglichen Entschuldigungen finden. Du tust das Richtige!«
    Die letzten Worte flüsterte sie mir ins Ohr.
    Die letzten Worte ließen mein Herz wachsen. Es wuchs aus meiner Brust heraus und in Annes hinein.
    »Deshalb«, schloss Anne, »fahren wir morgen nach Afrika, und wenn es Gott nicht

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