33 Cent um ein Leben zu retten
»Kennst du Robin Hood?«
Das tut sie.
»Er hat so einen schönen grünen Hut mit einer Feder«, sagt Großmutter.
»Erinnerst du dich, dass Robin Hood von den Reichen nahm und den Armen gab?«
Großmutter nickt. Sie sieht mich an. Dann sagt sie: »Und jetzt denkst du darüber nach, wie man den Armen helfen kann?«
»Aber nicht den Armen hier bei uns. Denen fehlt doch nicht wirklich etwas.« Ich sehe Großmutter an. Sie ist bestimmt nicht reich, aber fehlt ihr eigentlich wirklich etwas? Ich meine, wenn man es mit denen vergleicht, die nichts haben. Mit denen, die sich nicht einmal satt essen können?
»Sondern den richtig Armen«, fahre ich fort, »denen, die hungern, den Kindern in Afrika, denen, die sterben.«
»Das ist schlimm«, sagt Großmutter.
Jetzt frage nicht ich, jetzt fragt Großmutter. Mit den Augen und den hochgezogenen Augenbrauen.
»Und warum tun wir denn nichts dagegen?«, frage ich. »Warum helfen wir ihnen nicht? Die wohnen doch gleich um die Ecke. Wir können in fünf Stunden dorthin fliegen, losfliegen mit allem, wovon wir zu viel haben: Brot, Milch, Getreide, alles.«
Großmutter nickt.
»Und warum tun wir es dann nicht?«
Großmutter sagt nichts. Sie sagt auch nicht, dass wir doch die Sammelbüchsen haben, um Geld zu sammeln, und die Entwicklungshilfe.
»Das ist zu wenig«, sage ich. »Nicht genug Geld.«
»Viel zu wenig«, sagt Großmutter.
»Und wie wird es mehr?«
»Wie?«, sagt Großmutter.
ANNE
Draußen am Fahrradschuppen. Es war …
JESUS
Liegt es an mir? Verstehe ich nicht, was wichtig ist? Verstehe ich nicht, was der Pfarrer sagt: dass Jesus allen Menschen das Leben gab und nicht nur das Leben, sondern auch das Leben nach dem Tod. Und dass das mehr wert ist als alles andere zusammen.
Wenn das stimmt, macht es dann etwas, dass man vor Hunger stirbt, auch wenn man erst ein Jahr oder zwei, drei oder vier Jahre ist? Ist das dann nicht gleichgültig, wenn man sowieso in den Himmel kommt und ewig lebt?
Was bedeutet dann der Tod?
Nichts.
Überhaupt nichts.
ANNE
Wieder am Fahrradschuppen:
Anne ist mutig. Oder sind Mädchen einfach mutiger als Jungen? Ich könnte niemals, auch wenn ich schon hundertmal daran gedacht habe, zu Anne hingehen und sie ins Kino einladen. Ich war kurz davor, hatte den ersten Schritt getan, auch den zweiten, aber dann war ich abgebogen, zur Seite gegangen, hatte die Richtung geändert.
Feigling!
Anne ist kein Feigling. Sie kam direkt auf mich zu. Ich stand da mit dem Fahrrad. Ich wartete nämlich, dass sie vorbeifahren würde. Und dann: Dann kam sie, blieb stehen, sah mich, bremste und kam dann direkt auf mich zu. Sie fuhr sich durch die Haare, neigte den Kopf auf die Seite und sah mich neugierig an.
Ich sagte nichts.
Ich hielt die Luft an.
Solche Situationen sind kompliziert, wirklich schwierig, völlig unmöglich. Sie sagte auch nichts. Sie drehte den Kopf, hob die Augenbrauen und schließlich neigte sie den Kopf ein kleines bisschen zur anderen Seite. Dann sagte sie: »Ich finde dich auch süß.«
Stell dir vor, das hat sie gesagt: »Ich finde dich auch süß!«
Selbst dann konnte ich nichts sagen. Ich hätte natürlich einfach lächeln müssen, mit dem Kopf schütteln, bis die Haare wild durch die Luft geflogen wären, und dann sagen: »Anne! Genau das bist du, finde ich! Hundertfach! Und noch mehr! Tausendfach! Übrigens, es läuft gerade ein guter Film, wäre das was für dich?«
Das alles hätte ich sagen sollen. Aber ich sagte nichts. Piff paff puff!
Da lachte Anne, sprang aufs Fahrrad und sauste davon.
Schwindel. Ich blieb stehen, sah ihr nach, wie eine Welle wogte ihr langes Haar hinter ihr her. Genau wie in diesen idiotischen Reklamen für Shampoo. »Weil ich es mir wert bin!« Brrr!
Nur viel schöner!
Nur noch viel wilder!
Anne!
Sie findet, ich bin süß!
So fing das mit uns an.
JEDE MENGE VOM BESTEN ESSEN
Wenn die toten Kinder dann im Himmel auftauchen, stelle ich mir vor, dann erwarten Gott und alle Engel sie mit großen Schüsseln voller Süßigkeiten, und ein Wagen mit leckerem Eis steht bereit. Der ist so randvoll, dass sich die Türen nicht schließen lassen. Der fährt auf den Wolken herum. Das Eis quillt heraus, den Kindern direkt vor die Füße, und Gott sagt: »Jetzt müsst ihr aber tüchtig essen. Jetzt müsst ihr nie mehr hungern, hier gibt es genug zu essen.« Und dann hebt er die Arme, und ein Engelschor von ungefähr zwanzigtausend Engeln beginnt zu singen.
Der Eiswagen, klar, aber nicht genug damit:
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