330 - Fremdwelt
versammelten Indios den Atem anhalten. Die Luft schien zu knistern.
Faultier ließ die Kordel los. Sie wanderte sehr langsam zurück in den Bauch des Teddys, und aus dessen Innereien schnarrte eine hohe Stimme: »Wollen wir spielen?«
Unbeschreiblicher Jubel brach unter den Indios aus.
***
Spätsommer 2522
Folgendes geschah sechs Sonnenzirkulationen, bevor er das unbekannte Fluggerät mit einer EMP-Kanone vom Himmel holte und der Befehl des Großen Herrn erging, zwei Hominiden und einen Androiden zu jagen.
Damals hätte die Kanone nicht funktioniert. Nichts hatte zu dieser Zeit funktioniert.
Nur er, weil der Große Herr ihn gegen jenen anderen Elektromagnetischen Impuls abgeschirmt hatte, der damals die Erde überflutete.
»AV-01 an den Großen Herrn«, hatte er sich damals zum Dienst gemeldet, gar nicht weit vom Unterschlupf seines Schöpfers entfernt. »Bereit für den ersten Einsatz. AV-01 erwartet den ersten Befehl. Kommen.«
Mit seinem grauen Torso von der Form eines langen, dreiseitigen Prismas glich er schon rein äußerlich keinem anderen Modell. Doch was ihn wesentlich von allen anderen unterschied, taktete hinter seiner kunstvoll geschnitzten und bemalten Geiermaske aus Teakholz: ein semibiologischer Prozessor, von seinem Schöpfer neurokinetisches Modul genannt.
Ein zweites Modul mit ungleich spezifischeren Funktionen befand sich hinter einer Klappe im unteren Bereich seines Torsos. Dieses Modul hatte sein Schöpfer noch nicht aktiviert.
»Er ist derzeit Unsere einzige Perspektive, AV-01«, sagte damals die Stimme seines Schöpfers im Empfangsteil hinter der Geiermaske. »Alle Technik, die auf Elektronenfluss basiert, ist ausgefallen. Den Grund kennen Wir noch nicht. Er ist der Einzige, dessen Wir Uns bedienen können, denn sein neurokinetisches Modul ist nicht auf Elektronenfluss angewiesen. Er wird also herausfinden, ob auch an anderen Orten des Planeten der Elektronenfluss versiegt ist, und warum das geschah. Doch zuvor wird er Uns Menschen fangen, die Uns als Sklaven dienen sollen. Nur so können Wir in dieser Wildnis ohne Elektronenfluss überleben.«
Dass sein Schöpfer damals mit Existenzproblemen zu kämpfen hatte, war für AV-01 kaum zu berechnen und würde auch in Zukunft schwer zu berechnen sein. Ihm fehlte eine Matrix für Begriffe wie »Existenzproblem« und »überleben« und deren Bedeutungsfelder.
»Für die Jagd haben Wir ihm das zweite neurokinetische Modul anvertraut«, sagte die hohe Stimme seines Schöpfers. »Das Modul ist noch inaktiv. Wir wissen von Menschen aus dem Norden. Sie sind an der Küste gelandet und bewegen sich nun mit dreirädrigen Motorwagen auf dem alten Fahrweg durch den Urwald. Er wird sie Uns fangen und ihre Gehirne scannen, damit Wir erfahren, ob sie erstens als Sklaven geeignet sind, ob sie zweitens von dem versiegten Elektronenfluss wissen, und ob sie drittens den Grund dafür kennen. Wiederhole dies.«
»AV-01 wiederholt. Befehl des Großen Herrn: Jagd auf Menschen aus dem Norden. Einfangen mittels noch inaktivem neurokinetischen Modul. Hirne scannen. Eignung testen. Kenntnisstand über versiegten Elektronenfluss und dessen Grund erforschen.«
***
Frühling 2528
Die Indios gerieten vollständig aus dem Häuschen. Von jetzt auf gleich waren Matt und Xij von tanzenden, singenden und klatschenden Menschen umgeben. Frauen, Männer und Kinder umarmten einander, schnatterten und palaverten. Irgendwie verloren standen Matthew Drax und seine Gefährtin mittendrin in dieser brodelnden Menge und wussten nicht, was überhaupt vorging.
Der haarige Chef reckte die ganze Zeit den Teddy in die Höhe. Er hatte seinen verzerrten Mund geöffnet und ein verwüstetes Gebiss entblößt; vermutlich lächelte er. Ja, er schien hochzufrieden. »Chef«, sagte er manchmal und deutete dabei auf den kleinen Teddy oder klopfte sich selbst auf die lockige Brust. »Chef, Chef!«
Xij drängte sich an Matt, schlang ihren Arm um seinen. »Die sind nicht nur minderbemittelt – die sich hochgradig verrückt!«, raunte sie. »Was, glaubst du, haben sie jetzt wohl vor?«
»Das hast du doch gehört: Sie wollen spielen .« Matt verzog das Gesicht. »Ich wage aber nicht, dahinter ein harmloses Topfschlagen oder Verstecken zu vermuten. Und ich fürchte, wir sind zum Spielen eingeladen.«
Die aufgekratzten Indios beruhigten sich nach und nach, etwas wie Ordnung kam in die Menge. Matt beobachtete, wie einzelne Wortführer auf die Indios einbrüllten. Gruppen bildeten sich, rotteten
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