335 - Der verlorene Sohn
Crow. Schreck? Verblüfft bemerkte er die Softwareroutinen, die in der Lage waren, Gefühle zu simulieren. Durch einen einfachen Befehl konnte er sie ausschalten, verzichtete jedoch darauf.
Stattdessen besann er sich des vierten Kapitels aus »Die Kunst des Krieges« von Sunzi. Das Buch war eine passable Leistung für einen Nicht-Amerikaner und hielt Crow immer wieder vor Augen, dass man seine Feinde nicht unterschätzen durfte.
Seine Arme und Beine und der Torso wurden von Stahlklammern gehalten; selbst sein perfekter Androidenkörper konnte daraus nicht ohne Hilfe entkommen. Wenn Takeo ihn also nicht befreite und stattdessen die Daten auf dem Kristall einer genaueren Analyse unterzog, war sein neues Leben innerhalb kürzester Zeit vorbei.
»Es ist... verwirrend«, sagte Crow. Er erschrak beim Klang der künstlichen Stimme, die aus seinem Mund drang. »Meine Sinne sind so anders, so neu. Dieser Körper verwirrt mich.«
»Versuche dich langsam voranzutasten.«
»Willst du mich nicht losmachen?«
»Erst wenn ich mir sicher sein kann, dass der Transfer fehlerfrei funktioniert hat«, erwiderte Takeo und trat näher heran.
»Du sagtest, wir sind in Amarillo?« Crow musste Zeit schinden. Fieberhaft suchte er in den Datenresten von Aikos Bewusstsein nach verwertbaren Informationen.
Takeo nickte. »Im Medical Science Center. Wir schreiben den Mai des Jahres 2528.«
»Dann haben wir gegen die Daa’muren gewonnen?« Crows Berechnung nach konnte Aiko Tsuyoshi das Ende des Krieges nicht mehr miterlebt und so auch keine Informationen darüber haben.
»Das haben wir«, gab Takeo zurück. Er stockte einen Moment. »Doch dabei gab es viele Opfer. Du selbst... dein Originalkörper... ist am Kratersee gestorben, Aiko.«
»Ich verstehe.« Hätte Miki Takeo die künstlich erzeugten Emotionen seines angeblichen Sohnes auslesen können, er hätte sich sehr gewundert. So aber fragte er nur:
»Ist das ein Problem für dich?«
Crow schüttelte den Kopf. »Nein. Ich bin glücklich, dass diese Bewusstseinskopie erhalten geblieben ist. So habe ich eine zweite Chance.«
Miki schien mit der Antwort zufrieden. Trotzdem war die Befragung noch nicht zu Ende. »Ich werde dir weitere Testfragen stellen«, sagte er, »um deine Erinnerungen zu überprüfen. Wo und in welchem Jahr wurdest du geboren?«
Fieberhaft suchte Crow nach den entsprechenden Informationen – und wurde fündig.
»In Amarillo, 2475.«
»Wann lerntest du Matthew Drax kennen?«
Beinahe wäre Crow eine unflätige Bemerkung herausgerutscht, doch er konnte sich zurückhalten. Er hätte Drax töten sollen, als der Mistkerl zum ersten Mal in Waashton aufgetaucht war. Natürlich waren er und Aiko zu einem anderen Zeitpunkt aufeinandergetroffen. »Im Jahr 2517 in einer Arena. Er und Aruula halfen mir und Naoki gegen unsere eigenen Leute, die von einem Virus des Weltrats befallen waren.«
Ein ausgezeichneter Plan war das gewesen. Crow erinnerte sich gerne an jene Zeit. Durch einen Computervirus hatten sie der Gefahr durch die technologisch so hochstehenden Cyborgs Herr werden wollen. Doch die Intention des WCA, die Ordnung auf der Erde als führende Macht nach und nach wiederherzustellen, war von Drax vereitelt und in der Folge mehrfach sabotiert worden.
Takeo stellte weitere Fragen, die Crow zu seiner Zufriedenheit beantworten konnte. Irgendwann verschwand der Android aus Crows Gesichtsfeld. Es klackte. Die Stahlklammern lösten sich. Endlich!
»Ich danke dir... Vater«, presste Crow hervor.
»Willkommen zurück im Leben.« Takeo legte ihm seine Hände auf die Schultern. »Ich wünschte, wir hätten mehr Zeit. Es ist viel passiert in den letzten sieben Jahren. Doch das muss warten.«
Mich interessiert sowieso mehr das letzte Jahr, dachte Crow. Die Zeit nach meinem eigenen Tod. Er steckte den bizarren Gedanken besser weg, als er selbst gedacht hatte.
»Das Wichtigste zuerst«, fuhr Takeo fort. »Dein neuer Körper wurde ursprünglich von General Fudoh hergestellt...«
Crow lauschte den Erklärungen mit wachsender Begeisterung. Der alte Feind hatte sich also einen jungen, kraftstrotzenden Körper gebastelt, um sich zum Herrscher aufzuschwingen. Das erklärte die umfangreiche Bewaffnung.
Nun, mit Fudoh würde er auch noch abrechnen. Aber zuerst musste er einen Weg finden, sich seines »Vaters« zu entledigen.
***
Aikos Zustand bereitete Miki Takeo insgeheim Sorge. Die Wahrscheinlichkeit, dass sein Sohn auch in diesem Körper früher oder später in ein ähnliches
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