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34 Meter über dem Meer - Reich, A: 34 Meter über dem Meer

34 Meter über dem Meer - Reich, A: 34 Meter über dem Meer

Titel: 34 Meter über dem Meer - Reich, A: 34 Meter über dem Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annika Reich
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den Summer und wartete an der Tür. Ein Eintrag noch: Wo beginnt das Meer und wo hört es auf?
    Dann hörte sie Schritte. Ihr Herz klopfte. Sollte es Horowitz sein, würde er ihr ansehen, dass sie im leeren Zimmer gewesen war. Aber es war nicht Horowitz. Sie hörte nicht seine Schritte, sie hörte die Schritte einer Frau. Noch ein letzter Blick ins Notizbuch: Und er sagte zu mir: Sie lieben das Meer, Kapitän. Dann legte sie es weg.
    Die Schritte kamen näher. Dann erschien eine ältere Dame auf dem letzten Treppenabsatz. Als die ältere Dame Ella sah, stutzte sie und blieb stehen. Die ältere Dame drehte sich noch einmal um, schaute dann wieder in Ellas Richtung und fragte: »Wer…? Ich meine, wer sind Sie denn?«
    Sie war Horowitz wie aus dem Gesicht geschnitten. Sie war klein, mager, mit schwarz-silbernen Haaren, die zu einem Knoten gebunden waren. Sie trug einen alten Trenchcoat und große, schwarze Perlenohrringe. In der einen Hand hielt sie eine rechteckige Krokodilledertasche, wie Ella sie von Flohmärkten kannte, und in der anderen eine Plastiktüte, die so prall gefüllt war, dass sie die Henkel nur mit Mühe zusammenkneifen konnte.
    Ella merkte, wie ihr die Röte ins Gesicht schoss, und sie stotterte: »Ich, äh, ich…«
    Die ältere Dame setzte sich wieder in Bewegung und sagte: »Sie…?«
    »Sie sind die Zwillingsschwester von Herrn Horowitz«, sagte Ella.
    »Wer ich bin, weiß ich«, entgegnete sie mit einem Schmunzeln (eine Kopie des Schmunzelns ihres Bruders) und einer tiefen, nüchternen Stimme, »aber ich komme auch nicht gerade aus einer Wohnung spaziert, die mir nicht gehört. Sind Sie die neue Putzfrau?«, fragte sie dann mit bösartig, aber humorvoll blitzenden Augen und fuhr fort: »Nein, so sehen Sie nicht aus, Sie sehen eher aus wie eine dieser hübschen Freundinnen meines nutzlosen Sohnes. Hat er sich hier mal wieder verbarrikadiert, um sich dem Leben nicht stellen zu müssen?«
    »Nein, ich…«, es fiel Ella wirklich schwer, in einem Satz zu sagen, wer sie eigentlich war, »ich heiße Ella Rot und…«
    Horowitz’ Schwester lief an ihr vorbei in die Wohnung: »Ich darf doch?!« Sie zog ihren Trenchcoat aus und warf ihn über den Kleiderständer. Sie trug eine Flanellhose, eine blau-weiß gestreifte Bluse und einen dunkelblauen V-Pullover, auf dem eine bunte Flamingo-Brosche steckte, die nicht zum Rest der Kleidung passen wollte.
    Ella schloss die Tür und brachte endlich eine Erklärung heraus: »Ich wohne jetzt hier für eine Weile. Ihr Bruder hat seine Wohnung mit mir getauscht.«
    »Was?«, fragte sie. »Ist er jetzt vollkommen übergeschnappt?«
    Sie gestikulierte wild mit den Händen, während sie sprach, und aus ihren Augen blitzte staubtrockener Humor.
    Ella schaute Horowitz’ Schwester an. Sie war anders, als Horowitz sie dargestellt hatte. Geschwister, dachte Ella, Geschwisterbeziehungen werden unterschätzt, die ganze Welt lässt sich wegen ihrer Eltern therapieren…
    »Und Sie? Warum lassen Sie sich auf so etwas ein?«, fragte Horowitz’ Schwester nun.
    Ella lächelte und sagte: »Ich bin erst seit einer halben Stunde hier.«
    »Na, dann kriegen Sie ja vielleicht noch die Kurve. Trinken wir solange einen Tee?«, fragte sie.
    Ella nickte: »Gern.«
    »Hat er Ihnen auch schon mal einen Tee gemacht? Scheußlich, oder? Er kann das überhaupt nicht. Und kein Mensch weiß, warum der Tee bei ihm so scheußlich schmeckt. Teeblätter und Wasser. So schwierig ist das doch nicht!«
    Der Tee war in Windeseile fertig und schmeckte tatsächlich besser als der, den Horowitz ihr angeboten hatte, obwohl die Blätter aus derselben Dose kamen und in derselben Kanne aufgebrüht worden waren.
    »Hat mein Bruder Ihnen schon was von all seinen Ehrungen erzählt? Von dem Jahrhundertwerk und den großen Fahrten?«
    »Den großen Fahrten?«
    »Den Seereisen, den großen Seereisen.«
    »Nein, nicht direkt.«
    »Nicht direkt?«
    »Na ja, mehr über Fische, Meerjungfrauen, Urschleim.«
    Horowitz’ Schwester schüttelte den Kopf: »Ja, ja, das dachte ich mir schon: der gute alte Urschleim. Und immer um den heißen Brei herumreden.«
    »Finde ich gar nicht«, sagte Ella.
    »Ja, ja, er hat Sie beeindruckt mit seinen Geschichten, aber da sind Sie nicht die Einzige. Er hat viele beeindruckt, und nicht nur junge Damen, auch andere bedeutende Forscher und Historiker. Anfangs hat er riesige Fördersummen bekommen, alle glaubten, er wäre dem Geheimnis des Meeres auf der Spur, er würde die Naturgeschichte

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