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34 Meter über dem Meer - Reich, A: 34 Meter über dem Meer

34 Meter über dem Meer - Reich, A: 34 Meter über dem Meer

Titel: 34 Meter über dem Meer - Reich, A: 34 Meter über dem Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annika Reich
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vergleich es, ersetz es nicht / – bei so viel Licht und so viel Leben! / – bei so viel Tiefe und solchen Haien! / Sag nicht Meer – es wird dich nur besprühen / ohne Illusionen.«
    Sie öffnete den Eisschrank und fand ihn leer bis auf eine Flasche Champagner, auch darauf einer der kleinen gelben Zettel: Ich will’s gar nicht wissen. Prost, Miss Ocean!
    Ella lächelte. Miss Ocean? Das würde Paul gefallen. Was würde Paul wohl zu dieser Wohnung sagen? Und wo würde sie eigentlich schlafen? Einige der Zimmer hatte Horowitz ihr nicht gezeigt. In Horowitz’ Schlafzimmer wollte sie nicht schlafen, aber vielleicht hatte er ja tatsächlich das Löwenzimmer von den Spuren des großwildjägerischen Massakers befreit?
    Sie trat aus der Küche. Neben der Küche war das Gästeklo – ein schlauchartiger Raum mit einem Klosett und einem winzigen Waschbecken, daneben eine Kammer, die über und über mit Kisten vollgestellt war. Auf jeder Kiste klebte ein kleiner gelber Zettel. Sie las den ersten: Ich fing einen enormen Fisch , auf einem zweiten stand: Das Heringsleuchten! Ella lachte und hob ein paar der Kistendeckel an: Darin waren alte und staubige, aber immer noch prachtvolle Abendroben, Capes, Fracks und Hüte. Es raschelte, als Ella die Kammer wieder schloss. Später würde sie Horowitz fragen, wem all das gehörte.
    Jetzt gab es noch zwei Zimmer, deren Türen verschlossen waren. Aus irgendeinem Grund wollte sie die erste Tür nicht öffnen, also ging sie vorbei. Die zweite Tür lag direkt neben dem Löwenzimmer. Sie öffnete die Tür einen Spalt, linste hinein und wich gleich wieder zurück.
    Damit hatte sie am wenigsten gerechnet. Das Zimmer war leer, komplett leer. Nichts, keine Möbel, keine Vorhänge, keine Bilder, nicht einmal einer der kleinen gelben Zettel. Sie schloss die Tür wieder und hielt inne. Hatte sie nicht doch etwas auf der Wand gesehen? Ihr war plötzlich so, als wäre da doch etwas gewesen. Sie atmete tief ein und öffnete die Tür erneut. Sie trat in den Raum, die Wände weiß, der Boden mit schönen, alten Bohlen ausgelegt. Sprossenfenster, mattes Licht, sonst nichts. Was hatte ihr Auge denn gerade gereizt?
    Sie drehte sich einmal im Raum um die eigene Achse. Dann trat sie nah an die Wand. Dort war es. Dort war das, was sie beim ersten Blick aus dem Augenwinkel wahrgenommen hatte. Auf Brusthöhe zog sich eine dünne blaue Linie die Wand entlang, einmal ganz herum. Eine Kugelschreiberlinie. Was war das? Wofür stand diese Linie? Ella strich mit dem Zeigefinger die Linie entlang – zärtlich, tastend, so als schliefe jemand oder als wäre die Linie eine Narbe. Dann ging sie in die Mitte des Raums, sank in die Hocke und blieb eine Weile dort sitzen. Die Ellenbogen knapp über die Knie gestützt, die Stirn in die Hände gelegt. Die zittrige Kugelschreiberlinie war der Horizont.
    Der Horizont.
    Als sie die Tür hinter sich schloss, war ihr kalt. Sie stolperte in den Flur, blieb dort eine Weile stehen, dann kämmte sie sich mit den Fingern die Haare und öffnete das Löwenzimmer. Alles war raus: der Löwe, der Elefant, das Zebra; zurück blieb ein grünes Zimmer mit einem frisch bezogenen Bett. Darauf ließ sie sich fallen. Horowitz hatte einen leeren Raum in seiner Wohnung, in den er mit Kugelschreiber eine Horizontlinie gezeichnet hatte. Warum berührte sie das so?
    Sie streckte sich. Vielleicht sollte sie jetzt erst einmal ein paar Sachen einkaufen gehen – Milch und Kaffee, Brot, Butter und ein paar Äpfel? Oder die Notizbücher holen? Würden die schwarzen Büchlein ihr erklären, warum Horowitz das leere Zimmer in seiner Wohnung hatte und warum sie in genau dieser Wohnung gelandet war?
    Sie lief in den »großen Salon« und blätterte eines der Büchlein auf. Es war ein Logbuch, und der Eintrag, der sich unter dem Datum 26.09.1984 fand, lautete: Das Meer. Eine Welt, die einfach geschieht.
    Es klingelte an der Tür.
    Horowitz? Hatte er es sich jetzt schon anders überlegt? Oder nur etwas vergessen? Eine Welt, die einfach geschieht. Gerade hatte sie in der Zeitung gelesen, dass sich selbst die Teilchen in einem Beschleuniger anders verhalten, wenn jemand sie beobachtet. Aber den Wunsch, den Wunsch, dass die Welt einfach geschieht, kannte sie nur zu gut. Und wo kam man ihm näher als am Meer? Nirgends konnte sie so mühelos und einfach nur sein wie am Meer. Sie blätterte ein paar Seiten weiter. Da stand: Das Meer ruft. Im Grunde genommen macht es nichts anderes als dies: rufen.
    Ella drückte

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