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34 Meter über dem Meer - Reich, A: 34 Meter über dem Meer

34 Meter über dem Meer - Reich, A: 34 Meter über dem Meer

Titel: 34 Meter über dem Meer - Reich, A: 34 Meter über dem Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annika Reich
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herrlicher Ausblick: die großen Bäume, die alten Häuser, die Ruhe in der Straße. Der vertraute Blick beruhigte ihn ein wenig. Vielleicht half der Wohnungstausch ja tatsächlich, um zu erkennen, dass es doch noch etwas zu entdecken gab, was nicht der großen Entwertung zum Opfer gefallen war. Jetzt konnte er nur noch auf den Zufall bauen. Er musste unbedingt dafür sorgen, dass Ella, nachdem sie hier einzog, nicht sofort wieder alles rückgängig machte.
    Horowitz ging an seinen Schreibtisch, holte einen kleinen, gelben Block heraus und begann in der ganzen Wohnung Nachrichten für Ella zu verteilen. Danach packte er seine Sachen und ging ins Bett. Morgen früh würde er diese Wohnung verlassen und sie hoffentlich nie wieder betreten.

9
    Als Ella aufwachte, war es draußen dunkel. Die Uhr zeigte Mitternacht. Auf einmal war sie hellwach: Bis morgen früh musste sie ihre Wohnung in einem vorzeigbaren Zustand haben. Sie stand auf und holte Müllsäcke aus der Küchenschublade. Zuerst packte sie alte Zeitschriften und Zeitungen, Notizzettel und leere Kartons in einen Müllsack, dann warf sie das weg, was seit Monaten hätte entsorgt werden müssen. Selbst von dem bemalten Sparschwein, das ihr Jasmin geschenkt hatte, konnte sie sich auf einmal trennen; von dem bemalten Sparschwein, den halbvertrockneten Blumen in den hässlichen Töpfen, den Kerzenleuchtern, die sie immer schon scheußlich fand; nur den kleinen, pinken Vogelkäfig, den behielt sie. Dass sie wirklich morgen ihre Wohnung tauschte! Dass sie sich das wirklich traute!
    Ella saugte und wischte die Böden, räumte den Kühlschrank aus und reinigte das Bad. Die Nachbarin direkt unter ihr, bei der die Wanderschuhe vor der Tür standen, war bestimmt ein Mensch mit robustem Schlaf. Wer mit Wanderschuhen durch Berlin stapfte, schlief tief und traumlos. Wieso mistete sie nicht viel öfter aus? Jeder Müllsack, den sie vor die Tür stellte, fiel von ihren Schultern. Sie hatte sogar die Besteckschublade einmal komplett ausgeräumt, um einiges reduziert und wieder eingeräumt.
    Dann war es geschafft. Ella setzte sich aufs Sofa und machte sich ein Bier auf. Packen würde sie morgen früh. Es war drei Uhr morgens. Sie blickte sich um. Schön sah sie aus, ihre Wohnung. Horowitz würde sie gefallen, sie war klar und luftig, auch wenn oder gerade weil sie so klein war. Hier gab es kaum Spuren eines Lebens, das ihn umzingeln könnte. Hier war alles noch möglich.
    Sie blickte sich genauer um, und auf einmal kam eine andere Wohnung zum Vorschein, eine, in der es nur so von Peinlichkeiten wimmelte: schlechte Bücher, geschmacksneutrale Ikeatische, die kitschige Schreibtischlampe, der dunkelrote Vorhang, der abends eine lupenreine Bordellbeleuchtung produzierte, das billige Gurkenglas im Eisschrank, ganz zu schweigen vom Dosenmais und der Spruchtasse im Küchenregal.
    Ella lief ins Bad und räumte hektisch die Vorratspackung Kaltwachs, die Kondome und eine nach Rosen duftende Körpercreme in die zweite Reihe, aber es half nichts, sie lugten so noch verlockender hervor. Wofür schämte sie sich eigentlich? Solange diese Dinge Teil ihrer Geschichte waren, für nichts, aber sobald sie sich vorstellte, dass Horowitz sie in der Hand hielt, für alles. In dieser seltsamen Inventur war ihr Leben an Banalität kaum zu übertreffen. Horowitz würde in ihrer Wohnung sitzen und denken, sie hätte kein Leben. All die Dinge in ihrer Wohnung würden sich für ihn nicht zu einem sinnvollen Leben zusammensetzen lassen, das erfüllend war, lebenswert. Kein Stoff für eine Tragödie, kein Stoff für eine Komödie oder eine Romanze, noch nicht einmal Stoff für eine Satire, einfach kein Stoff. Zahllose Spuren der reinen Bedeutungslosigkeit, unzusammenhängende Banalitäten, auf die sich kein Reim machen ließ. Ein Tisch, ein Bett, ein Stuhl, nichts, was eine Geschichte erzählte. Grauenhaft.
    Ella ging ins Schlafzimmer und legte sich im Dunkeln aufs Bett. Im Dunkeln ging es besser. Sollte sie lieber alles wieder abblasen? Die Schreibtischlampe. Ein Freund hatte sie ihr bei einem engumschlungenen Bummel über den Flohmarkt auf dem Arkonaplatz gekauft und dabei verkündet, dass er ihr jetzt die kitschigste Lampe kaufen werde, die sie fanden, damit Ella sie problemlos wieder entsorgen könnte, wenn er sich schlecht benahm. Ella hatte sich dann mit einem noch grässlicheren Exemplar gerächt. Und bis jetzt hatten sie es beide nicht übers Herz gebracht, die Lampen in den Müll zu schmeißen, weil

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